Über die Frage, wie der diplomatische Verkehr mit der Schweiz organisiert werden sollte, kam es 1944 zu einem ernsten Konflikt zwischen Fürst Franz Josef II. und der Regierung sowie dem Landtag. Der Fürst drohte mit der Auflösung des Landtags, worauf Regierung und Landtag nachgaben.
Dramatische Sitzung des Landtags am 14. Dezember 1944. Fürst Franz Josef II. kam persönlich in den Landtag und legte seine Gründe für die Wiedereröffnung der Gesandtschaft in der Schweiz dar. Diese diplomatische Vertretung im Nachbarland war 1933 aufgelöst worden, weil sich die direkten Kontakte zwischen den Ämtern in Vaduz und Bern bewährt hatten. Das Fürstenhaus hingegen wollte wieder eine offizielle Vertretung in der schweizerischen Hauptstadt. Nach der Darlegung seiner Beweggründe kurz vor Mittag verliess der Fürst den Landtag wieder. Darauf traf sich eine Delegation von Landtagsabgeordneten am Nachmittag und stellte dem Landtag einen Antrag: Der Landtag sollte das Staatsoberhaupt ersuchen, seinen Beschluss rückgängig zu machen. Der einstimmige Beschluss des Landtags vermochte den Fürsten jedoch nicht umzustimmen. Vielmehr setzte Franz Josef II. den Landtag unter Druck, wie Regierungschef Josef Hoop in einer Aktennotiz festhielt: «Wenn der Landtag nicht zustimme, würde er jede Zusammenarbeit mit demselben ablehnen, kein Gesetz mehr sanktionieren und ungeachtet der Erklärung vom Vormittag müsste es auch zur Auflösung des Landtags kommen.»
Verhandlungen ohne Regierung und Landtag
Was hatte Fürst Franz Josef II. bewogen, Regierung und Landtag unter Druck zu setzen? Ende 1944, eine Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg und eine europäische Neuordnung zeichnete sich an allen Fronten ab. Das Fürstenhaus, aber auch andere liechtensteinische Bürger hatten Besitzungen im Ausland, die der Fürst in Verhandlungen mit den Alliierten retten wollte. Direkte Kontakte mit den Alliierten schienen kaum möglich, schreibt der Historiker Peter Geiger im Buch «Kriegszeit – Liechtenstein 1939 bis 1945». Eine eigene diplomatische Vertretung in der neutralen Schweiz erachteten Fürst Franz Josef II. und seine Ratgeber aber als geeignet, um die Souveränität des Fürstentums Liechtenstein international sichtbar zu machen.
Im Frühjahr 1944 deponierte der Graf von Bendern als Berater des Fürstenhauses beim Bundesrat in Bern die Überlegungen des Fürsten, wieder eine diplomatische Vertretung in der Schweizer Hauptstadt zu eröffnen. Der Graf, eigentlich Maurice Arnold Baron von Forest-Bischoffsheim, war schon 1935 von Fürst Franz I. zum diplomatischen Berater ernannt und ein Jahr später in den Grafenstand mit dem Titel «Graf von Bendern» erhoben worden. Die Verhandlungen mit der Schweiz gingen offenbar zügig voran, sodass Fürst Franz Josef II. schon im August 1944 mit dem Schweizer Bundespräsidenten Marcel Pilet-Golaz die Errichtung der Gesandtschaft besprechen konnte. Gleichzeitig ernannte der Fürst seinen Bruder Prinz Heinrich zum liechtensteinischen Geschäftsträger in Bern.
Die Verhandlungen zwischen Liechtenstein und der Schweiz wurden ohne Einbezug von Regierung und Landtag geführt. Zwar war das fürstliche Vorhaben zur Errichtung einer diplomatischen Vertretung in Bern bekannt, doch wie Peter Geiger schreibt, war man der Auffassung, alles sei noch im Stadium der Abklärung. Erst im Spätherbst erfuhren Regierung und Landtag vom Fürsten, dass die geplante Gesandtschaft bereits errichtet und Prinz Heinrich schon zum Geschäftsträger ernannt worden sei. «Regierung, Landtag und beide Regierungsparteien fühlten sich überrumpelt und stellten sich gegen den Fürsten», schreibt Geiger weiter. Der Fürst wurde ersucht, die Errichtung der Gesandtschaft rückgängig zu machen.
Die Bedenken von Regierung und Landtag
Die Regierung erstellte zur Darlegung ihrer Bedenken gegen die diplomatische Vertretung in Bern Anfang Dezember 1944 ein umfangreiches Memorandum. Einleitend wird in diesem Papier darauf hingewiesen, dass die Regierung von Anfang an Bedenken hatte, als der Fürst ein halbes Jahr vorher seinen Plan mitteilte, eine offizielle Mission in der Schweiz zu errichten: «Bestimmend war die grundsätzliche Einstellung der Regierung, in dieser entscheidungsschweren Zeit aussenpolitisch keinerlei Änderungen des gegenwärtigen Zustandes vorzunehmen, um nicht der Gefahr irgendwelcher Missdeutungen dritter Staaten ausgesetzt zu werden.»
Ausserdem richtete das Memorandum die Aufforderung an den Fürsten, bei seinen Bestrebungen die Verfassung zu beachten. Die Errichtung einer Gesandtschaft falle eindeutig in die Zuständigkeit von Regierung und Landtag – eine Interpretation der Verfassung, die Fürst Franz Josef II. offenbar nicht teilte.
Im Memorandum legte die Regierung dar, Deutschland würde wohl eine einseitige Errichtung einer Gesandtschaft in Bern nicht freundlich aufnehmen. Diesen Eindruck habe man aufgrund von Äusserungen politischer Persönlichkeiten aus Deutschland gewinnen können: «In Anbetracht der grossen Interessen, die der regierende Fürst in Deutschland hat und der Notwendigkeit eines freundnachbarlichen Verhältnisses im engeren Grenzgebiete und guter Beziehungen zu Deutschland allgemein möchte die Regierung solche Rückwirkungen unter allen Umständen vermeiden.»
Ausserdem sprach die Regierung mögliche Rückwirkungen auf das Verhältnis zur Sowjetunion an: «Ausgehend von der Tatsache, dass die Gesandtschaft in Bern auch in grösserem Umfange die Vermögensinteressen Seiner Durchlaucht im vermutlich künftigen Einflussgebiet der Sowjetunion wahrzunehmen hätte, hat sich die fürstliche Regierung auf den Standpunkt gestellt, dass die Errichtung einer Gesandtschaft in der Schweiz im heutigen Zeitpunkte umso inopportuner ist, als gerade jetzt Sowjetrussland sich geweigert hat, mit der Schweiz in diplomatische Beziehungen zu treten, weil sie die Schweiz als feindselig eingestellten Staat betrachtet.»
Konflikt Fürst–Regierung ohne Öffentlichkeit
Über die Auseinandersetzungen zwischen Fürst und Regierung über die Mission in Bern wurde die Bevölkerung nur am Rand informiert. So erschien am 23. Dezember 1944 ein «Mitgeteilt von der Regierung» im «Liechtensteiner Volksblatt» mit dem Wortlaut: «Seine Durchlaucht der regierende Fürst hat beschlossen, die Gesandtschaft bei der Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu besetzen. Als Geschäftsträger wird der Bruder des Fürsten, Seine Durchlaucht Prinz Heinrich, die Leitung der Gesandtschaft übernehmen. Das Agreement für den designierten Geschäftsträger ist seitens der Schweizerischen Eidgenossenschaft bereits erteilt worden. In seiner Sitzung vom 21. Dezember 1944 hat der Landtag hievon zustimmend Kenntnis genommen.»
Kurz vor Jahresende doppelte das «Volksblatt» mit einer kurzen Meldung nach: «Die neulich erfolgte Eröffnung einer liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern und deren Betrauung mit einem Durchlauchten Prinzen soll vor allem der Förderung der guten Beziehungen des Fürstentums mit dem Auslande dienen. Die Ereignisse in Krieg und Politik auf dem weiten Plan rufen einer vermehrten aussenpolitischen Orientierung. Unsere Beziehungen zur Schweiz sind enge und äusserst gepflegt, sie sind im direkten Verkehr zwischen den Regierungen freundlich gestaltet worden.»
Und am 6. Januar 1945 wurde die Kurzmeldung «Beziehungen zum Ausland» verbreitet: «Gegen Ende des abgelaufenen Jahres wurde die Gesandtschaft in Bern errichtet. Seine Durchlaucht Prinz Heinrich nahm am Neujahrsempfang von Bundespräsident von Steiger teil und hatte Gelegenheit, der Eidgenossenschaft namens Seiner Durchlaucht des Landesfürsten die besten Grüsse und Wünsche zu überbringen.»
Regierung und Landtag im Streit mit dem Fürsten
Aus den Medien erfuhren die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner praktisch nichts, was sich zwischen Fürst und Regierung sowie Landtag im Dezember 1944 abgespielt hatte. Licht in dieses Dunkel bringt Peter Geiger im Buch «Kriegszeit» anhand der Protokolle des Landtags und der Regierungsakten. Anfang Dezember waren Regierung und Landtag aufgrund der nicht vollständigen Information durch den Fürsten der Meinung, die Gesandtschaft sei noch nicht errichtet. Der Landtag ersuchte deshalb nach der Sitzung vom 7. Dezember das Staatsoberhaupt, «von der Errichtung einer Gesandtschaft abzusehen». Der Fürst erkannte den Ernst der Lage und informierte über die definitiven Verhandlungen mit der Schweiz. Eine Delegation aus Regierung und Landtag gelangte nochmals an den Fürsten mit der Bitte, die in Bern eingeleitete Errichtung der diplomatischen Vertretung rückgängig zu machen.
In der folgenden Landtagssitzung vom 14. Dezember, als der Fürst persönlich im Landtag auftrat, offenbarten sich die entgegengesetzten Haltungen. Beide Seiten beharrten auf ihren Standpunkten, womit die Gefahr einer Staatskrise bestand. Um dies zu verhindern, trat der Landtag nochmals am 21. Dezember zusammen und erteilte seine Zustimmung zur Gesandtschaft in der Schweiz. Allerdings drückte der Landtag auch sein Bedauern über das Vorgehen des Fürsten aus: «Der Landtag nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, dass er sowohl sich als auch die Regierung in der Frage der Errichtung einer Gesandtschaft bei der Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft in Bern entgegen den Bestimmungen und dem Sinn der Verfassung vor eine fertige Tatsache gestellt sieht.»