Seit 1867 gibt es einen Tunnel von Triesenberg nach Steg. Weil dieser Durchgang nur über einen steilen Anstieg zu erreichen ist, schwirrte das Projekt eines neuen Tunnels in den Köpfen der Planer. 1934 forderte die Opposition im Landtag von der Regierung den Bau – vor allem weil es damals in Triesenberg viele Arbeitslose gab, die beim Tunnelbau beschäftigt werden könnten.
Text: Günther Meier
«In den wirtschaftlich schwierigen Zeiten der 1930er-Jahre, als es in Liechtenstein zahlreiche Arbeitslose gab, bot die Regierung Beschäftigungsmöglichkeiten mit Bauprojekten an. Eines dieser Projekte war der Bau eines neuen Tunnels von Triesenberg nach Steg, doch gab die Regierung dem Bau des Binnenkanals und verschiedenen Strassenabschnitten den Vorzug. Im Landtag kam der Tunnel aber 1934, vor 90 Jahren, dennoch zu Sprache. Der VU-Abgeordnete Wendelin Beck erkundigte sich, wie es aktuell mit dem Tunnelprojekt stehe, das schon vor etlichen Jahren zur Diskussion gestanden sei. Seine Forderung an die Regierung war, die Arbeitslosen in Triesenberg wären dankbar, wenn der Tunnelbau beschleunigt in Angriff genommen würde. Regierungschef Josef Hoop erklärte in seiner Antwort, wenn der Landtag die notwendigen Mittel zur Verfügung stelle, könne relativ schnell ein Projekt erarbeitet und mit dem Tunnelaushub begonnen werden. Denn erste Abklärungen über den Verlauf der Tunnelröhre und das Gestein waren zu jenem Zeitpunkt schon gemacht worden.
Forderungen der Triesenberger, finanzielle Notlage beim Staat
Allerdings bemerkte Regierungschef Hoop mit Blick auf die Staatsfinanzen, dass die Zeiten wirtschaftlich nicht gut seien und in naher Zukunft wahrscheinlich auch nicht besser würden. Der Abgeordnete Beck ersuchte die Regierung dennoch um nähere Abklärungen, was der Tunnelbau koste und fügte an, er habe von Interessenten und Förderern des Tunnels gehört, dass die bereit wären, entsprechende Beiträge zu leisten. «So schön der Gedanke der Verwirklichung wäre», antwortete Hoop, «aber augenblicklich sehe ich nicht die Möglichkeit, es zu verwirklichen.» Allein schon die Ausarbeitung eines Projektes und die damit verbundenen Vorarbeiten würden grosse Summen verschlingen, die anderswo dringend gebraucht würden. Beck versuchte es noch einmal, die Regierung umzustimmen, mit den Beschäftigungsmöglichkeiten für arbeitslose Männer in Triesenberg: «Es gibt dort viele Leute, die den ganzen Tag beim Fenster hinausschauen müssen.» Der Berichterstatter des «Volksblatts» schrieb über diese Landtagssitzung, der Tunnelbau müsse wohl wegen der angespannten finanziellen Lage des Landes vorerst in den Hintergrund treten. Aber er fügte an, der verbesserte Zugang zum Alpengebiet durch einen neuen Tunnel würde vor allem den Gemeinden des Oberlandes grosse Vorteile bieten.
Beim Tunnelbau bewegte sich nach dieser Landtagssitzung nichts. Im Herbst 1936 aber gab es einen neuen Vorstoss, wie das «Vaterland» berichtete. Unter dem Titel «Oppositionsabgeordnete fordern beschleunigte Beschlussfassung Tunnelbau Gnalp – Samina» berichtete die Zeitung über einen Antrag an die Regierung. Mehrere VU-Abgeordnete forderten mit diesem Vorstoss, der Landtag solle sich möglichst bald mit der Frage des Tunnelbaus beschäftigen und sich die notwendigen technischen und finanziellen Unterlagen von der Regierung beschaffen. Zudem bemängelten die Antragsteller, den Triesenbergern sei schon vor Jahren der Tunnelbau versprochen worden: «Die grosse Arbeitslosigkeit in Triesenberg und die dadurch bedingte allgemeine Notlage fordern gebieterisch die Schaffung einer Arbeitsgelegenheit.» Mit dem Bau des neuen Tunnels würde ausserdem etwas zur Förderung des Tourismus im Alpengebiet getan. In einem Kommentar schrieb das «Vaterland» dazu, der Kanal sei bald fertig, deshalb sei es mehr als am Platz, das Versprechen gegenüber den Triesenbergern endlich einzulösen.
Durchstich in Rekordzeit trotz schwierigen Gesteins
Es dauerte drei weitere Jahre, bis sich der Landtag wieder mit dem Tunnelprojekt befasste. Nach einer kontroversen Diskussion stimmte das Parlament aber doch dem Antrag der Regierung für einen Kredit in Höhe von 600’000 Franken zur «Ausgestaltung des Tunnelprojektes» zu. Die Realisierung des Tunnels aber verzögerte sich erneut, weil vier Monate später der Zweite Weltkrieg ausbrach. Liechtenstein hatte nun andere Prioritäten. Erst nach dem Krieg schaffte es das Projekt wieder auf die politische Bühne. Am 23. Oktober 1945 bewilligte der Landtag einen Kredit von 1,2 Millionen Franken. Schon ein Vierteljahr später begannen die Bauarbeiten auf der Tal- und der Bergseite. Um möglichst schnell den Durchstich durch den Kulm zu schaffen, wurde teilweise rund um die Uhr gearbeitet. Damit war es möglich, dass bereits im Herbst 1946 der Durchstich des Stollens gefeiert werden konnte. Nach einer Bauzeit von nur sieben Monaten trafen sich die Mineure in der Mitte des Stollens zum Handschlag.
Geologen wie Bauarbeiter hatten grössere Probleme zu bewältigen, denn es mussten unterschiedliche Gesteinsschichten durchbrochen werden. Auf der Steger Seite bildete zudem das Wasser eine dauernde Herausforderung, die nach einer provisorischen Ableitung verlangte. Insgesamt mussten 20’000 Kubikmeter Fels für den 742 Meter langen Tunnel aus dem Berg geräumt werden, der eine Steigung von 2,4 Prozent vom Rheintal-Portal bis zum Ausgang ins Saminatal aufweist – was einer Höhendifferenz von 18 Metern entspricht.
Wenn man die damaligen technischen Möglichkeiten berücksichtigt, entstand der Tunnel Triesenberg – Steg in Rekordzeit. Die Eröffnungsfeier fand am 4. Dezember 1947 statt. Die Organisatoren hatten für dafür einen besonderen Tag gewählt, den Tag der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Mineure und Bergleute. Fürst Franz Josef II. schnitt das blau-rote Band entzwei, das die Strasse symbolisch noch gesperrt hatte und gab damit, begleitet von Böllerschüssen, den Weg für den Verkehr frei. Regierungschef Alexander Frick erwähnte in seiner Ansprache, nach anderen Strassenabschnitten zwischen Tal und Gebirge sei nun ein würdiger Schlusspunkt mit dem Tunnel gesetzt worden: «Unserer Weganlage im Gebirge wurde damit die Krone aufgesetzt.»
Tunnel förderte den Tourismus in Steg und Malbun
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts mussten die Triesenberger Bauern den steilen Weg über den Kulm nehmen, wenn das Vieh in das Alpengebiet getrieben wurde. Erst 1867, als eine Strasse vom Tal nach Triesenberg erstellt wurde, gab es auch einen Durchstich durch den Kulm. Der knapp 50 Meter lange Stollen blieb bis zum Bau des Strassentunnels Triesenberg – Steg die einzige fahrbare Verbindung ins Alpengebiet. Bis dahin war es nicht möglich, mit einem Fahrzeug nach Steg oder Malbun zu gelangen, weil der letzte Abschnitt über den Kulm nur ein schmaler Saumpfad war. Schon 1908 war das Alpenkurhaus Malbun für den Sommertourismus eröffnet worden, das 1934 auf den Ganzjahresbetrieb umstellte. Gäste aus verschiedenen Ländern Europas kamen im Sommer und Winter nach Malbun. Allein schon dieser kleine Tunnel öffnete für den Tourismus im Alpengebiet neue Perspektiven. Mit dem neuen Strassentunnel konnte nun die Entwicklung von Steg und Malbun zu Sommer- und Winterorten gefördert werden. Bis Steg war mit dem neuen Tunnel der Weg für Fahrzeuge ganzjährig offen. Nachdem 1957 in Malbun ein zweiter Hotelbetrieb für den Ganzjahresbetrieb geöffnet worden war, wurde die Strasse 1959 von Steg nach Malbun ebenfalls das ganze Jahr befahrbar.
Malbun galt früher im Winter als Geistertal
Steg und Malbun verloren mit der neuen Entwicklung des Tourismus ihre frühere Ruhe während der kalten Jahreszeit. Bis Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Bauern aus Triesenberg das Vieh um Allerheiligen in ihre Heuställe in Malbun getrieben und das im Sommer eingelagerte Heu verfüttert. Kurz vor Weihnachten holten die Bauern das Vieh wieder ab, oft beschwerlich durch Kälte und Schnee. Wenn die letzte Kuh das Alpengebiet hinter dem Kulm verlassen hatte, kehrte zu jener Zeit Ruhe ein in Malbun und Steg. Länger als bis Weihnachten zu bleiben, hätte niemand gewagt, schrieb Benno Beck in einem Bildband über Triesenberg: Über den Winter gehörte das Malbuntal den Geistern! Auch der langjährige Pfarrer von Triesenberg, Dekan Engelbert Bucher, bezeichnete Malbun als «Geistertal». Nach seiner Darstellung glaubten die alten Triesenberger fest, nach Weihnachten dürfte niemand mehr in Malbun bleiben – und ebenso glaubten sie, niemand dürfe ins Malbun, bevor das Alleluja an Ostern gesungen worden sei. Wer es wagte, das «Geistertal» zu betreten, wurde mit absonderlichen Gestalten konfrontiert. Die Schauergeschichten über die «Wildmannli» oder den «Tälibudel», die während Generationen weitererzählt wurden, trugen dazu bei, dass die Triesenberger im Winter den Kulm nicht überschritten und die Geister in Malbun ihre Ruhe hatten.