An Huldigungen oder Abstimmungen nahmen vor Mitte des 19. Jahrhunderts meist die Vorstände eines Haushalts teil. So waren auch verwitwete Frauen teils an solchen politischen Verfahren beteiligt.
Text: Cornelius Goop, Liechtenstein-Institut
Am 5. September 1718 fand die Erbhuldigung der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg für Fürst Anton Florian von Liechtenstein statt. Der Huldigung kam in der Frühen Neuzeit vor dem Aufkommen geschriebener Verfassungen eine zentrale Rolle bei der Regelung und Legitimation von Herrschaft zu. Die Untertanen der beiden Herrschaften vollzogen durch einen Treue- und Gehorsamseid ihre Bindung an den neuen Landesherrn, der ihnen im Gegenzug die Wahrung ihrer Rechte und Privilegien versprach. Über den Vorgang wurde 1718 aufgrund seiner Bedeutung ein ausführliches Protokoll erstellt. Am Ende dieses Protokolls befindet sich eine Liste derjenigen Personen, die den Huldigungseid auf der Schlosswiese in Vaduz gemeinsam mit erhobenen Fingern vor dem fürstlichen Stellvertreter geleistet hatten. Der Eid, dem Fürsten «getreu, gehorsam, gewartig, bottmässig, steur-, frohn- und dienstbar zu seyn» wurde nicht von der gesamten Bevölkerung der beiden Herrschaften gesprochen, sondern ausschliesslich von den Vorständen der darin befindlichen Haushalte. Es fällt auf, dass sich in der Liste auch einige Frauen finden, die in ihrer gesellschaftlichen Rolle als Witwen auftraten. Für die Grafschaft Vaduz sind 71 Witwen (bei 570 verheirateten, 138 ledigen und 12 «alten» Männern) und für die Herrschaft Schellenberg 42 Witwen (bei 287 verheirateten, 125 ledigen und 8 «alten» Männern) angeführt. Sie erhielten beim anschliessenden Fest wie auch die eidleistenden Männer ein Mass Wein und zwei Pfund Brot zugesprochen.
Über die Teilnahme von Witwen an Abstimmungen in Rahmen von Landsgemeinden und Gemeindeversammlungen in der Frühen Neuzeit liegen keine genauen Informationen vor. Die Landständische Verfassung (gültig 1818 bis 1862) jedoch kannte eine Form der eingeschränkten Beteiligung von Witwen am Abstimmungsverfahren. Die Abgeordneten zum (Stände-)Landtag dieser Zeit wurden nicht durch eigene Wahl bestimmt, sondern die Ortsrichter (Vorsteher) und Säckelmeister (Kassiere) der elf Gemeinden übernahmen die Mandate von Amtes wegen. Ortsrichter und ab 1842 auch Säckelmeister wurden wiederum nach einem Dreiervorschlag der Wahlberechtigten einer Gemeinde vom Vaduzer Oberamt bestimmt. Wahlberichtigt waren alle «selbstständigen» Gemeindebürger über 24 Jahren. Mit «Selbstständigen» waren wieder Haushaltsvorstände gemeint, also auch verwitwete Bürgerinnen, die laut Gemeindegesetz von 1842 «durch einen Beistand» stimmberechtigt waren. In den Stimmlisten dieser Zeit sind auch tatsächlich vereinzelt Frauen zu finden.
Gab es in Liechtenstein also bereits einmal eine Frühform des Frauenstimmrechts? Nein. Stimmberechtigt waren die Witwen in ihrer Eigenschaft als Haushaltvorstand, nicht als Frau. Die Fokussierung auf den Haushalt zeigt das Denken einer ständischen Gesellschaft, das nicht eins zu eins mit dem Verständnis eines liberalen und gleichen (Männer-)Wahlrechts kompatibel war, wie es ab der Verfassung von 1862 galt. Dieses dachte vom Individuum her, das für sich selbst eine Vertretung ins Parlament entsandte. Und als Individuen wurden Frauen in Liechtenstein bis 1984 vom Wählen ausgeschlossen – ob sie nun Witwen waren oder nicht.