Baustoff Lehm: Von der Nische zum Trend

Forschende der Universität Liechtenstein entwickeln diese kühne Deckenkonstruktion aus Lehm und Holz im neuen Bürokomplex «Hortus» in Basel. Foto: Hanno Mackowitz

Ein riesiges Bauareal in Allschwil im Westen von Basel: Dort realisiert das renommierte Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron den Bürokomplex «Hortus». Unser Team rund um Martin Rauch, den Lehmbauexperten aus Vorarlberg, kennt inzwischen jeden Quadratmeter des Areals. Wir arbeiten hier in der Praxis – und zugleich als Lehrende und Forschende an der Liechtenstein School of Architecture. Einblicke eines Beteiligten.

Text: Martin Mackowitz, MSc Arch.

Autor Martin Mackowitz, MSc Arch., Hochschuldozent, Ab Herbst 2024 Koordinator des neuen EARTH HUBS.

In Vorarlberg haben wir mit unserem Unternehmen «Lehm-Ton-Erde» eine riesige, völlig neuartige Deckenkonstruktion aus Holz und Lehm mitentwickelt. Die 800 Deckenelemente fertigen wir nun direkt auf der Baustelle in Basel. Dazu haben wir eine eigene Feldfabrik vor Ort aufgebaut. Wir verwenden das lokale Aushubmaterial. Der Bürokomplex «Hortus» soll ein Vorzeigeprojekt in der Energiewende werden: Das Nullenergiehaus wird selbst zum Kraftwerk. In 30 Jahren soll es jene Energie kompensiert haben, die wir in diesen Monaten für den Bau aufwenden.

Direkt an der Baustelle wird erdfeuchter Aushub zu Stampflehm verdichtet. Foto: Hanno Mackowitz

Mitte 2025 wird das «Hortus»-Areal bezugsbereit sein. Der Bürokomplex illustriert die Notwendigkeit, auch in der Baubranche mehr Nachhaltigkeit anzustreben und bei der Errichtung von Strukturen den Schutz der Umwelt von Beginn an mitzudenken. Denn 40 Prozent aller CO2-Emissionen sind auf Gebäude und den Bausektor zurückzuführen. Das lässt sich ändern. Als Architekturschaffende, Beschafferinnen und Beschaffer, Bauingenieure, Lehrende, Forschende und Studierende an der Liechtenstein School of Architecture sind wir heute eingeladen, neue Fragen ans Thema Bauen zu stellen. Etwa folgende: Wie können wir Baustandorte, Baustoffe und -methoden bis hin zur Ausgestaltung der letztlich zu schaffenden Bauwerke menschen- und ressourcenfreundlich auswählen? Welche besonders kostenintensiven Prozesse können wir anders gestalten, so, wie das vor vier, fünf Jahrzehnten beim Beton gelungen ist?

Eine Bauwende im Sinne des Klimas
All diese Prozesse der Ökologisierung des Bausektors fasst man unter dem Begriff Bauwende zusammen. In Verschränkung mit der Energiewende ist die Bauwende eine der wichtigsten Stellschrauben für das Erreichen der Klimaziele in Europa.
Uns als Praktikerinnen, Praktiker und Forschende im Lehmbau im Vierländereck hat die Aufgabenstellung von Herzog & de Meron enormen Rückenwind verschafft. Denn einerseits wissen nun immer mehr Bauherren von den Vorteilen des Baustoffs Lehm. Andererseits lässt sich das Argument deutlicher Mehrkosten von Lehm als Baustoff zunehmend entkräften—nicht nur aufgrund der vielen Vorteile des Baustoffs, sondern auch, weil industrielle Baustoffe wie Beton im europäischen Emissionshandel von Jahr zu Jahr empfindlich teurer werden.

Vor diesem Hintergrund nehmen die Beforschung und Verwendung von Lehm mit Holz sowohl in der Region als auch im europäischen Diskurs rasant an Fahrt auf. Die Kombination der beiden Materialien erweist sich für die Branche als ideale Kombination: Häuser aus Lehm und Holz ermöglichen CO2-armes, brandgeschütztes, thermisch optimales, systematisiertes Hochbauen.

Dies zeigen wir in Schlins in Vorarlberg, dem Wohn- und Arbeitsort von Martin Rauch. Dort eröffnen wir gemeinsam mit ihm in diesem Winter unsere neue Montagehalle, die aus Stampflehm und Holz gebaut ist. Wenn wir nicht wie bei «Hortus» in Basel direkt vor Ort grossvolumig produzieren, dann stellen wir die Bauelemente aus Stampflehm heutzutage in Schlins her. Dafür haben wir eine eigene Maschine entwickelt. Wir trocknen und lagern die Lehmblöcke. Wir versehen sie mit Nummern und senden sie schliesslich von dort aus auf die Reise. Aus Low Tech wird also High Performance, da wir den aufwendigen Schritt des Lehmstampfens automatisiert haben.

 

Netzwerk ZirkuLIE
Wie also können wir diese zukunftsträchtigen Bausysteme aus Lehm mit Holz optimieren? Wie können wir sie kostengünstiger machen? Diesen Fragen widme ich, Martin Mackowitz, Hochschuldozent und ab Herbst 2024 Koordinator des neuen EARTH HUBs an der Liechtenstein School of Architecture, mich nun intensiviert in der Baupraxis wie auch an der Universität Liechtenstein. Neben meiner Lehrtätigkeit gründete ich gemeinsam mit der Firma Blumer Lehmann bei St. Gallen und mit GBD Dornbirn im April 2024 ein eigenes Unternehmen, lehmit.com.

An der Liechtenstein School of Architecture wiederum vertiefen wir den Austausch in einer Wissenspartnerschaft mit dem Liechtensteiner Innovationsnetzwerk ZirkuLIE. Dort haben sich auf Initiative der Stiftung Lebenswertes Liechtenstein engagierte Fachleute und Visionäre zusammengetan, um vor Ort Schwung in die Debatte zur Kreislaufwirtschaft zu bringen und um den Übergang zum zirkulären Bauen zu fördern. Treiberinnen und Treiber sind etwa Regina Steck von LENUM und Gernot Schubert von der HILTI AG, Architekt Mathias Vogt sowie der Zimmermann und Tischler Anton Frommelt.

Vom Elfenbeinturm auf die Baustelle: Die Lehrenden der Liechtenstein School of Architecture bieten bevorzugt lebensnahe, interaktive Formate an. So gelingen Vermittlung und Co-Kreation für zukunftsfähiges Planen, Gestalten, Bauen und Wohnen. Foto: Mustafa Karaaslan

Der Schritt nach Liechtenstein
Perspektivisch visieren wir einen Ort in Liechtenstein an, an dem neue Technologien und neue Unternehmen entstehen, welche die Bauwende in der Region vorantreiben. Ausserdem möchten wir sowohl die Universität als auch die Werkhalle in Schlins in lebendige Orte der Begegnung zwischen Wissenschaft und Praxis verwandeln. Dabei wird uns ein neuer, übergreifender EARTH HUB an der Universität Liechtenstein unterstützen.

In diesem Hub bündeln wir die Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Lehmbau und aus dem Lehm-Holz-Bau.

All diese Aktivitäten folgen demselben Wunsch, der meine Kolleginnen, Kollegen und mich im Vierländereck eint: Wir möchten die Stärkefelder und Innovationen hier im Rheintal und in der gesamten Region für möglichst viele Menschen zugänglich und verfügbar machen.

Hortus Basel: Regionale Forschung und Innovation für 12 000 m2 Nutzfläche. Foto: Herzog & de Meuron

 

 

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