Mit dem Wohlstand nahm auch der Autoverkehr in Liechtenstein zu. Besonders in Vaduz und Schaan gab es täglich Staus, sodass die Verkehrspolitik gefordert war, nach Lösungen für das Problem zu suchen. In den 1960er-Jahren entstand deshalb eine Verkehrsplanung, die eine Umfahrung von Vaduz und Schaan vorsah. Nach einem Jahrzehnt der Planung erteilten die Stimmbürger dem Projekt 1976 jedoch eine deutliche Absage.
Text: Günther Meier
Die Schweiz baute in den 1960er-Jahren ihre Planung für ein Autobahn-Netz aus, in Österreich befasste man sich angesichts des zunehmenden Autoverkehrs mit dem Bau von Autobahnen und Schnellstrassen. Da konnte Liechtenstein nicht abseitsstehen, denn zu bestimmten Tageszeiten standen Autos in den Dorfzentren von Vaduz und Schaan im Stau. Und ein ähnliches Bild zeigte sich an anderen Orten aufgrund des Durchgangsverkehrs von der Schweiz nach Österreich und umgekehrt. Die Regierung gab Studien in Auftrag, die zum Schluss kamen, eine langfristige Lösung könne nicht im Ausbau der bestehenden Hauptstrassen gefunden werden, sondern eher in einer neuen Strasse ausserhalb der Ortszentren.
Für die Planung einer landesweiten Umfahrungsstrasse war damit der Startschuss gegeben.
Allerdings erschien der erste Entwurf der Regierung doch etwas zu hoch angesetzt. Die Planer hatten nämlich vorgeschlagen, die Ortschaften entlang der bestehenden Nord-Süd-Verbindung zu umfahren – möglichst ortsnah, aber als eine kreuzungsfreie, zweispurige Hochleistungsstrasse. Obwohl sich abzeichnete, dass diese Planung kaum umgesetzt werden kann, beschloss der Landtag auf Antrag der Regierung im Jahr 1969 das «Gesetz über den Bau von Hochleistungsstrassen und Hauptverkehrsstrassen». Die Verwirklichung der Umfahrungsstrasse sollte in grossen Abschnitten erfolgen, wobei im Mittelpunkt die Umfahrung von Vaduz und Schaan stand, begleitet von einer Querspange von Schaanwald nach Bendern für den Durchgangsverkehr und einer Weiterführung in südlicher Richtung von Vaduz nach Balzers.
Keine Autobahn, aber eine stattliche Strasse
In der Bevölkerung gab es nach Bekanntwerden dieser Umfahrungsplanung eine Diskussion über die Notwendigkeit des Projekts. Diese Diskussionen veranlassten die Regierung zur Überarbeitung des Strassenprojekts, wobei insbesondere Fragen des Flächenbedarfs und des Umweltschutzes im Mittelpunkt stehen sollten. Auch wurde eine Redimensionierung der Strassenbreite beschlossen, die nun nicht mehr mit einer Autobahn vergleichbar war, aber dennoch eine beachtliche Breite aufwies: Eine Fahrbahn von 7,50 Meter Breite, dazu links und rechts eine Standspur von je 2,50 Meter. Die ursprüngliche Planung einer landesweiten Umfahrung wurde zwar nicht aufgegeben, Priorität erhielt jedoch die Umfahrung von Vaduz und Schaan. Ausserdem sollte die Bevölkerung das letzte Wort haben, ob es überhaupt zu einer Umfahrungsstrasse kommen sollte.
Erstellungskosten von über 35 Millionen Franken
Die Umfahrung von Vaduz und Schaan begann laut Planung bei der Rheinbrücke Vaduz, folgte dann dem Rheindamm bis nach Schaan zur Eisenbahnbrücke und machte von dort einen weiten Bogen zur Strasse, die von Schaan nach Nendeln führt – also eigentlich eine verlängerte Ausführung des vor wenigen Jahren erstellten Industriezubringers von der Hilti AG bis zur Strasse von Schaan nach Bendern. Die geplante Umfahrung hatte eine Länge von 5,7 Kilometern, berührte aber nur die zwei Gemeinden Vaduz und Schaan, wie der Projektbericht der Regierung ausdrücklich festhielt. Dennoch sei die Umfahrungsstrasse «als Rückgrat für die Bewältigung des Verkehrsaufkommens» vorgesehen, hiess es.
Laut Regierung bestehe durch den Strassenbau keine Gefahr für das Grundwasser, und es würden auch keine Naturschutzgebiete berührt. Grössere Bauten neben der Strasse waren nur für die Unterführung der Eisenbahnbrücke in Schaan sowie für die Unterführung der Strasse von Schaan nach Buchs vorgesehen. Hingegen stand die Sportanlage Vaduz direkt an der geplanten Strassenführung, sodass für diese eine Verlegung hätte vorgenommen werden müssen. Aber das war ohnehin schon geplant. Der Bericht der Regierung an den Landtag führte dazu aus, eine Neuplanung des Sport- und Erholungsgebietes sei ausdrücklich in der neuen Ortsplanung von Vaduz vorgesehen.
Die Erstellungskosten der Umfahrung wurden mit 35,2 Millionen Franken berechnet, wobei die Aufwendungen für den Landerwerb in diesem Betrag eingeschlossen waren. Sollte das Volk bei der im Herbst 1975 vorgesehenen Abstimmung zustimmen, so könnte die Umfahrung von Vaduz und Schaan bereits im Jahr 1982 dem Verkehr übergeben werden.
Kontroverse Diskussionen über die Notwendigkeit
Obwohl die verkehrsbedingten Engpässe in den beiden Ortschaften landesweit bekannt waren und oft kritisiert wurden, entfachte die geplante Umfahrungsstrasse vor der Abstimmung heftige und leidenschaftliche Diskussionen. Die einen stellten die Notwendigkeit einer solchen Umfahrung infrage, anderen plädierten dafür, bei der Bewältigung des Nord-Süd-Verkehrs könnte auf die geplante Autobahn N13 in der benachbarten Schweiz gesetzt werden, wieder andere regten eine verstärkte Förderung des öffentlichen Verkehrs als Alternative zum privaten Motorfahrzeug an.
An einer Informationsveranstaltung in Schaan widerlegte Karl Hartmann, damaliger Leiter des Bauamtes, diese Vorstellungen. Die N13 werde wohl etwas Verkehr aus Liechtenstein aufnehmen oder von Liechtenstein fernhalten, aber dabei handle es sich nur um eine Teilentlastung, welche die Probleme in den Zentren von Vaduz und Schaan nicht lösen könne. Den öffentlichen Verkehr bezeichnete Hartmann nicht als Alternative, weil die Busse gegenüber dem Privatauto nicht konkurrenzfähig seien. Zwar habe sich zwischen 1960 und 1974 eine Steigerung der Fahrgastzahlen von 40 Prozent ergeben, doch diese Steigerungsrate sei vor allem darauf zurückzuführen, dass die Busse die Zubringerdienste zu den Schulzentren übernommen hätten. Blieb noch, wie an der Informationsveranstaltung vorgetragen, eine Staffelung des Berufsverkehrs, um die Verkehrsstaus in den Morgen- und Abendstunden zu reduzieren. Laut Hartmann könnte eine solche Massnahmen nur greifen, wenn dazu eine behördliche Regelung eingeführt würde – was in unserer freiheitlichen Gesellschaft jedoch kaum möglich wäre. Folglich, so das Fazit aus Pro und Kontra: Eine wirksame Entlastung der Dörfer Vaduz und Schaan könne nur die geplante Umfahrungsstrasse bringen.
Gesellschaft für Umweltschutz für die Umfahrung
Die Regierung befürwortete die Umfahrung von Vaduz und Schaan, der Landtag bewilligte den von der Regierung beantragten Kredit. In den Ratsstuben von Vaduz und Schaan stimmten die Gemeinderäte dem Projekt zu. Für etwas Erstaunen sorgte eine Stellungnahme der Liechtensteinischen Gesellschaft für Umweltschutz (LGU), die im «Volksblatt» unter dem Titel «Für ein ‹Ja› zur Umfahrungsstrasse!» abgedruckt wurde. Die LGU gehörte zwar nicht zu den glühenden Befürworterinnen des Projekts, aber unterstützte «unter Abwägung aller Umweltargumente» die Umfahrungsstrasse als «das kleinere Umweltübel». Jeder Strassenbau stelle eine Umweltzerstörung in der Landschaft dar, argumentierte die LGU, jedoch gelte es abzuwägen zwischen dem Eingriff in die Erholungsräume und der Verbesserung der Luft- und Lärmsituation in den Ortszentren: «Die LGU glaubt, dass generell eine Umfahrung, wie an anderen Orten aufgezeigt, zu einer Revitalisierung der Siedlungen führen kann, also wieder etwas zur Hebung der Lebensqualität beitragen kann.»
Stimmbürger lehnten in allen Gemeinden ab
Regierung, Landtag und LGU blieben bei der Abstimmung am 19. September 1976 mit ihrer Zustimmung zur Umfahrung von Vaduz und Schaan weitgehend allein. Bei einer Stimmbeteiligung von 81 Prozent sprachen sich nur 747 Stimmberechtigte für das Projekt aus, während 3027 dagegen stimmten. In keiner einzigen Gemeinde gab es eine Mehrheit, auch in Vaduz und Schaan überwogen die Nein-Stimmen deutlich: In Vaduz gab es 218 Ja und 365 Nein, in Schaan votierten nur 152 dafür, 465 dagegen. Das «Volksblatt» setzte nach der Ablehnung der Umfahrungsstrasse den Titel «Absage an das kompromisslose Fortschrittsdenken!»