Erbprinz am Staatsfeiertag: «WIR SITZEN IN EINEM SICHEREN BOOT»

Der Erbprinz während seiner Ansprache zum Staatsfeiertag 2024.Foto: Michael Zahnghellini

Die Ansprache von Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein zum Staatsfeiertag 2024

 

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Am heutigen Staatsfeiertag können wir dankbar sein. Im Unterschied zu vielen anderen Staaten –auch in unserer direkten Nachbarschaft – blieben wir verschont von bewaffneten Konflikten, Anschlägen und Umweltkatastrophen. In einer geopolitisch stürmischen Lage sitzen wir weiterhin in einem sicheren Boot und geniessen die Stabilität.

Aber auch wir spüren, dass die Zeiten unsicherer geworden sind. Vor allem unsere Unternehmen sind durch den Angriff Russlands auf die Ukraine, die Konflikte im Nahen Osten sowie die schwierigen Beziehungen zwischen den USA und China betroffen. Die Geschäftsaktivitäten mit den Krisenregionen wurden teilweise ganz abgebrochen oder zumindest stark beeinträchtigt.

Ausserdem haben die breiten Verwerfungen bei den unterbrochenen Lieferketten und der Energieversorgung weitreichende und vielschichtige Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, was uns auch in Liechtenstein negativ betrifft. Die hohe politische und wirtschaftliche Stabilität Liechtensteins ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für unsere Wirtschaft, der besonders gesucht wird, wenn in anderen Regionen unserer Welt die politischen und wirtschaftlichen Unruhen zunehmen.

Stabilität und Sicherheit

Unsere Stabilität ist jedoch nicht auf Dauer garantiert und wir sind in Liechtenstein von den globalen Problemen und Herausforderungen nicht isoliert. In den nächsten Jahren dürfte die Bedeutung von Stabilität und Sicherheit als Standortfaktor weiter steigen. Wenn wir uns diesen Vorteil für die Zukunft bewahren wollen, dürfen wir somit nicht stillstehen, sondern müssen uns verstärkt dem Thema Sicherheit widmen.

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Die Sicherheitspolitik kennt verschiedenste Bereiche. Bei der Energiesicherheit versuchen wir, einerseits Energie zu sparen und andererseits durch den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie dem Halten von strategischen Gasreserven Energiequellen für Krisenzeiten zu erschliessen. Sowohl um unsere Energiesicherheit als auch unseren Beitrag gegen den Klimawandel längerfristig zu verbessern, sollten wir uns in nächster Zeit intensiv mit der optimalen Kombination von Energiesparen und Energiespeichern sowie dem Ausbau der erneuerbaren Energien befassen.

Als Teil der Sicherheitspolitik hat das Amt für Bevölkerungsschutz unlängst die Gefährdungs- und Risikoanalyse aktualisiert. Daraus sollten wir die richtigen Lehren ziehen und die notwendigen Massnahmen für den Bevölkerungsschutz treffen. Dies gilt auch für die Erkenntnisse der Aufarbeitung der Pandemie.

Die Digitalisierung hat bei all ihren Vorteilen auch Sicherheitsprobleme gebracht. Dank der Initiative «Digital Liechtenstein» und der Stabsstelle für Cyber-Sicherheit haben wir inzwischen gute Grundlagen geschaffen, um diesen Gefahren zu begegnen. Die digitale Entwicklung ist jedoch rasant und deshalb werden wir unsere Anstrengungen bezüglich der Cyber-Sicherheit hochhalten müssen.

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Sicherheitspolitik ist selbst für Grossstaaten niemals nur Innenpolitik, sondern immer auch Aussenpolitik. Dies gilt noch mehr für Kleinstaaten wie Liechtenstein, die sogar den lokalen Bevölkerungsschutz nicht ohne enge Zusammenarbeit mit den Nachbarn gewährleisten können.

Sicherheitspolitik spielt für unsere Aussenpolitik eine wichtige Rolle

Für den Erfolg unserer Sicherheitspolitik spielt somit unsere Aussenpolitik eine entscheidende Rolle. Daher sollten wir uns nicht zuletzt in unserem eigenen Interesse Gedanken machen, wie wir durch eine kluge Aussensicherheitsstrategie international zu mehr Sicherheit und Stabilität sowie zum Schutz des Freihandels beitragen können. Dazu sollten wir die Gestaltungsmöglichkeiten unserer Aussenpolitik in verschiedenster Hinsicht überprüfen und uns insbesondere folgende Fragen stellen:

  • Durch welche Initiativen und Beiträge können wir die grössten Effekte erzielen?
  • Welche Ressourcen benötigen wir dafür?
  • Welche internationalen Plattformen sind für uns dabei am geeignetsten?
  •  Was können wir von guten Beispielen anderer Staaten lernen?
  • Wie können wir am besten den Erfolg des Ressourceneinsatzes überprüfen und bei Bedarf nötige Korrekturmassnahmen vornehmen?

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich solche Investitionen in die Aussenpolitik durchaus lohnen und sich daraus für uns wertvolle Leuchttürme ergeben können. So konnten wir zum Beispiel dank der Veto-Initiative Liechtensteins in der UNO oder dem Vorsitz im Europarat sowohl international positive Beiträge leisten als auch unsere Attraktivität als Gesprächspartner steigern.

In einer Zeit, in der andere Staaten erhebliche Zusatzausgaben für die Sicherheitspolitik tätigen, ist beides für uns als Kleinstaat von grosser Bedeutung. Wir vermeiden durch positive internationale Beiträge nicht nur den Vorwurf von Trittbrettfahren, sondern steigern die Reputation für unser Land und damit letztlich auch für unseren Wirtschaftsstandort. Wenn wir unsere Attraktivität durch wertvolle Initiativen und Leuchttürme steigern, eröffnen sich ausserdem für unsere Politiker mehr Gesprächsmöglichkeiten mit Vertretern anderer Staaten, bei denen sie dann auch unsere eigenen Anliegen einbringen können. Ansonsten ist dies oft ein schwieriges Unterfangen.

Auch bei der Auswahl der internationalen Plattformen müssen wir als Kleinstaat mit beschränkten Ressourcen sehr strategisch vorgehen. Mit der UNO, der EFTA, dem EWR, dem Europarat und der OSZE sind wir bereits Mitglied von internationalen Organisationen, die gute Plattformen bieten.
Mit Beitritten zu weiteren internationalen Organisationen wäre ich deshalb sehr zurückhaltend – auch, weil diese häufig mit für uns nicht relevanten, aber aufwendigen Berichterstattungspflichten verbunden sind. Ausserdem lohnen sich Mitgliedschaften in internationalen Organisationen im Sinne von nützlichen Plattformen oft nur dann, wenn wir vor Ort mit einer Botschaft und ausreichend diplomatischem Personal vertreten sind.

Beitritt zum IWF, ein wichtiges Anliegen

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Einer internationalen Organisation sollten wir jedoch auf alle Fälle noch beitreten: dem Internationalen Währungsfonds IWF. Warum ist der IWF für uns so viel wichtiger und vorteilhafter als andere internationale Organisationen?

Gut geführte Unternehmen mit einem soliden Risikomanagement vereinbaren Kreditlinien für den Krisenfall. Ebenso gehört es zur verantwortungsvollen Sicherheitspolitik eines Kleinstaates ohne eigener Notenbank, für den Krisenfall einen alternativen Zugang zu sofortiger und grosser Liquidität zu sichern. Neben diesem in der bisherigen Diskussion am häufigsten genannten und eher innenpolitischen Grund möchte ich nicht zuletzt auch im Sinne der vorher dargelegten Überlegungen einige aussenpolitische Gründe näher ausführen.

Da wir bereits eine Botschaft in Washington haben, der Beitritt mit keinen Mitgliedschaftsbeiträgen verbunden ist und wir eine attraktive Verzinsung auf die zu hinterlegende Quote erhalten, fallen nur sehr geringe Verwaltungskosten, insbesondere für die Berichterstattung an. Im Unterschied zu den Berichterstattungspflichten vieler anderer internationaler Organisationen – auch jener, denen wir schon beigetreten sind – hat unsere Wirtschaft jedoch ein grosses Interesse an den IWF-Berichten, weil sie für die Steigerung der Reputation unseres Wirtschaftsstandortes wichtig wären.

Ferner ist der IWF für die Stabilität und das reibungslose Funktionieren des internationalen Finanzsystems zuständig und fördert dadurch den internationalen Handel. Zudem hat der IWF einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung und Umsetzung von Standards zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. All dies sind für unsere Industrie und unseren Finanzplatz bedeutende Themen, zu denen wir uns gerade in geopolitisch schwierigen Zeiten noch stärker einbringen sollten.

Weiters ist der IWF die wichtigste Plattform für die Finanzminister seiner 190 Mitgliedstaaten, die sich dort zweimal im Jahr treffen. Da wir in den letzten Jahren grossen Wert auf den Abschluss vonDoppelbesteuerungs-abkommen gelegt haben, würden diese regelmässigen Finanzministertreffen eine hervorragende Gelegenheit bieten, um bei informellen Gesprächen im Rahmen dieser Treffen weitere Doppelbesteuerungsabkommen anzusprechen.

Nichtbeitritt würde bei Mitgliedsstaaten
auf Unverständnis stossen

Nachdem der Landtag sich mit grosser Mehrheit für das Verhandlungsmandat ausgesprochen hat und die Regierung ein noch besseres Verhandlungsergebnis erzielen konnte, würde eine Ablehnung des IWF-Beitritts in dessen Mitgliedstaaten auf Unverständnis stossen und einen Reputationsverlust bedeuten. Auch in der Schweiz würde eine Ablehnung wahrscheinlich nicht gut aufgenommen, nachdem die Schweiz sich sehr für uns eingesetzt und selbst ein grosses Interesse an unserem Beitritt hat.

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Wir leben in unsicheren Zeiten und diese werden voraussichtlich auch noch in den nächsten Jahren anhalten. Wir sollten daher ein besonderes Augenmerk auf die Sicherheitspolitik legen. Für deren Erfolg sind neben der Energiesicherheit eine kluge Aussensicherheitsstrategie und der Beitritt zum IWF von entscheidender Bedeutung.

Nach der Ansprache des Landtagspräsidenten lade ich Sie im Namen meiner Familie zu einer Stärkung vor dem Schloss ein. Von Herzen danke ich all jenen, die an der Gestaltung des Staatsfeiertages mitgewirkt haben, und wünsche Ihnen allen einen schönen Festtag und Gottes Segen.

 

Viele Menschen hatten sich zum Staatsakt auf der Schlosswiese eingefunden. Fotos: Michael Zanghellini