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IWF-Beitritt: «Alle Menschen im Land profitieren»

Simon Biedermann, Generalsekretär des Ministeriums für Präsidiales und Finanzen

Als Leiter der Delegation für die Vorsondierungen eines möglichen Beitritts des Landes zum Internationalen Währungsfonds, kurz IWF, kennt Simon Biedermann die Materie bestens. Im Interview spricht der Generalsekretär des Ministeriums für Präsidiales und Finanzen darüber, warum ein IWF-Beitritt Liechtenstein seines Erachtens sehr viele Vorteile mit sich bringt.

Interview: Heribert Beck

Herr Biedermann, wenn Sie den IWF in aller Kürze ­beschreiben müssten:
Welche Sätze würden Sie wählen?

Simon Biedermann: Der IWF ist eine mittlerweile 80-jährige Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die 190 Mitgliedstaaten zählt. Neben Liechtenstein sind es nur Kuba, Nordkorea und Monaco, die nicht im IWF sind. Die 190 Mitgliedsländer des IWF haben das Ziel, in Fragen der internationalen Währungspolitik zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig finanzielle Hilfe zur Überwindung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten zu leisten. Einfacher ausgedrückt ist es ähnlich wie bei einer genossenschaftlich organisierten Versicherung ein Kollektiv, das seine Mitglieder bei grösseren Krisen unterstützen kann.

Was ist aus ihrer Sicht der ausschlaggebende Grund für einen Beitritt Liechtensteins?
Wir haben ein ungelöstes Problem: zu wenig Sicherheit für unser Land in einem schweren Krisenfall wie einer Finanzkrise, einem Erdbeben, Hochwasser etc. Notfälle mit hohem Schadenspotential, die wir finanziell nicht mehr selber stemmen können. Betroffen davon können unser Finanzplatz, unsere Banken, unser Geld und damit letztlich wir alle sein.

Was waren Ihre Aufgaben als Leiter der Liechtensteiner IWF-Delegation?
Meine Rolle war es, die Delegation und den Prozess zu leiten und gegenüber dem IWF Liechtenstein und seine Interessen zu vertreten. Ich durfte dabei mit einem wirklich tollen Team, bestehend aus Mitarbeitenden der FMA, des Amts für Auswärtigen Angelegenheiten, des Amts für Statistik, des Amts für Finanzen und unserem Botschafter in Washington zusammenarbeiten. Gleichzeitig erhielten wir auch sehr viel Unterstützung von unseren Partnern bei der Schweizerischen Nationalbank und beim Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen. Es gab sehr viel Abklärungsarbeit, gerade auch was die statistischen Daten in Liechtenstein angeht, und zahlreiche virtuelle und physische Meetings, damit der IWF alle Informationen hatte, um eine der Liechtensteinischen Volkswirtschaft angemessene Quote festlegen zu können.

Zu welchem Fazit sind Sie persönlich im Rahmen der Verhandlungen gelangt?
Liechtenstein ist finanziell sehr solide aufgestellt, was auch Ausdruck einer hohen Haushaltsdisziplin von Regierung und Landtag ist. Nicht mehr auszugeben als wir einnehmen ist politischer Konsens, was uns von vielen Ländern unterscheidet. Die Ausganglage ist daher sehr gut. Dennoch würden unsere Reserven bei weitem nicht ausreichen, um einen Finanzplatzkollaps abzuwenden oder in einer Krise finanziell handlungsfähig zu bleiben. Obwohl die Wahrscheinlichkeit eines solchen Vorfalls gering ist, wären die Auswirkungen auf unser Land fatal. Der geschätzte finanzielle Gesamtschaden beläuft sich gemäss aktueller Gefährdungs- und Risikoanalyse des Amts für Bevölkerungsschutzes bei einem Erdbeben beispielsweise auf bis zu 15,6 Milliarden Franken und bei einem Rheinhochwasser auf bis zu 8,1 Milliarden. Beim Finanzplatz ist es so, dass die Aktiven des Bankensektors das Finanzvermögen des Landes von rund 2,5 Milliarden Franken um einen Faktor von etwa 40 überschreiten. In einer akuten Krise müsste Liechtenstein rasch auf Liquidität oder zumindest die Zusicherung von Liquidität zählen können. Sich in guten Zeiten einen Partner mit der grösstmöglichen Kreditvergabekapazität zu suchen, ist daher nichts anderes als gutes Risikomanagement. Im Privaten verhalten wir uns ja ebenfalls vorausschauend und versuchen uns frühzeitig für hoffentlich nie eintretende Situationen abzusichern. Als Land stellen wir mit einem IWF-Beitritt die Handlungsfähigkeit unseres Staatsapparats auch im Notfall sicher.

Was mir neben diesen augenscheinlichen Vorteilen erst im Rahmen des Beitrittsprozesses bewusst geworden ist, war, dass der IWF sehr viel mehr als eine Versicherung für den Notfall ist. Die Vorteile für Liechtenstein wären deutlich weitreichender. Dies wurde mir auch von vielen Ländern bestätigt, mit denen wir uns während der Verhandlungen regelmässig ausgetauscht haben. Andere Kleinstaaten ziehen durchwegs ein positives Fazit ihrer Mitgliedschaft. So bietet der IWF kostenlose Expertise: Experten können für komplexe Themen – sei es Statistik, volkswirtschaftliche oder fiskalpolitische Fragestellungen – auf Wunsch des Landes beigezogen werden. Auch der Aspekt der Vernetzung ist nicht ausser Acht zu lassen: So besteht gerade für ein kleines Land die Möglichkeit, zweimal jährlich relativ unkompliziert mit Finanzministerien aus der ganzen Welt zusammenzukommen.

Weshalb ist ein Land wie Liechtenstein im Notfall auf einen «Kreditgeber letzter Instanz» angewiesen?
Ein Land wie Liechtenstein, das in den vergangenen Jahrzehnten keinerlei nennenswerte ausstehende Kredite hatte, hat auch kaum Zugang zum internationalen Kapitalmarkt und wird in einer Krisensituation auf die Schnelle keine Geldgeber finden. Auch die SNB betont immer wieder, dass sie uns nicht als Kreditgeberin zur Verfügung stehen könnte. So gelten etwa die grossen Liechtensteiner Banken trotz ihrer Grösse und Relevanz für Liechtenstein aus Sicht der SNB nicht als systemrelevant und würden keine Unterstützung aus der Schweiz erhalten. Mit dem IWF-Beitritt sichert sich Liechtenstein den Zugang zu einem verlässlichen Partner mit der grösstmöglichen Kreditvergabekapazität – und zwar aus einer Position der Stärke.

Welche Beispiele, in denen der IWF als ­Kreditgeber eingesprungen ist, gibt es, die sich auf Liechtenstein herunterbrechen liessen?
Das EWR-Land Island wurde 2008 von der Finanzkrise hart getroffen. Die Aktiven des Bankensektors entsprachen zu diesem Zeitpunkt dem Zehnfachen des Bruttoinland­produkts, was deutlich unter dem aktuellen Wert für Liechtenstein liegt. Mit einem Kredit von 2,1 Milliarden US-Dollar mit einer Laufzeit von zwei Jahren unterstützte der IWF den Wiederaufbau des zusammengebrochenen isländischen Bankensystems massgeblich und verhinderte somit einen Staatsbankrott, der Auswirkungen auf alle Teile der Gesellschaft gehabt hätte. Die Zusage war natürlich an Bedingungen geknüpft, wie bei jedem Kreditgeschäft. Es ging um das Sichern der Bank-Einlagen der isländischen Bevölkerung, alle, die Geld auf der Bank haben, die kleinen und grossen Sparer, die Hypothekarschuldner, Rentenbezüger. Interessant ist vielleicht, dass Island seit 1945 dem IWF angehört hat und erst 60 Jahre später einen Kredit benötigt hat.

Wie geht es Island zehn Jahre nach der Intervention durch den IWF?
Island verfügt mittlerweile über mehr Vermögenswerte im Ausland als Verbindlichkeiten, hohe Devisenreserven und solide und gut kapitalisierte Banken. Das Land hat sich dank des IWF-Kredits gut von der Finanzkrise erholt.

Gegner des IWF-Beitritts führen immer wieder ethische Bedenken ins Feld und skizzieren Horrorszenarien am Beispiel Griechenlands. Dort seien auf Druck des IWF die Sozialleistungen drastisch gekürzt, Staatsunternehmen privatisiert, die Politik und die gesamte Bevölkerung in die vollständige Abhängigkeit zum IWF gedrängt worden. Wie sehen Sie dies?
Ziel des IWF ist es, gemeinsam mit den nationalen Behörden die Länder beziehungsweise die Wirtschaft zu stabilisieren. Das ist zum Teil schmerzhaft, und bei Griechenland hat der IWF sein Programm auch angepasst und selbstkritisch eingeräumt, dass nicht alles gut gelaufen ist. Wichtig ist aber, dass nicht der IWF eine Krise verursacht. Die Lage eines Landes muss sehr schlecht sein, wenn es beim IWF Kredite beantragt. Auch ohne dessen Unterstützung wären in diesen Ländern einschneidende Strukturprogramme notwendig, um die Lage wieder ins Lot zu bringen. Im Falle eines Staatsbankrotts würden zum Beispiel Sozialleistungen nicht nur gekürzt werden, sondern könnten ganz einfach nicht mehr ausbezahlt werden.

Sie sprachen den Quotenanteil Liechtensteins an. Was hat es mit den 30 Millionen Franken auf sich, die das Land hinterlegen muss?
Die zu hinterlegende Reserveposition von 30 Millionen Franken wird unserem Finanzvermögen entnommen, das aktuell rund 2,5 Milliarden Franken beträgt. Diese 30 Millionen sind aber anschliessend nicht weg. Es handelt sich um eine zu marktüblichen Konditionen verzinste Einlage, die jederzeit wieder abgehoben werden kann. Abrufen kann man diese Gelder grundsätzlich immer, sinnvollerweise aber nur «im Bedarfsfall», also bei einem so genannten Zahlungsbilanzbedarf. Was ein Bedarfsfall ist, kann vom IWF erst nachträglich, also wenn bereits ausbezahlt wurde, geprüft werden. Jedenfalls wären alleine diese 30 Millionen sehr rasch verfügbare Liquidität. Sehr rasch und ebenfalls ohne Bedingungen könnten auch die zugeteilten Sonderziehungsrechte – derzeit etwa 167 Millionen Franken – im Bedarfsfall abgerufen werden. Wenn der Betrag höher sein sollte, ist dies mit dem IWF abzustimmen.

Zum Schluss die Frage: Wer profitiert von einem IWF-Beitritt Liechtensteins?
Von hoher Stabilität und einem zahlungs- und handlungsfähigen Staat profitieren alle Menschen, die in Liechtenstein leben. Dazu zählen sowohl kleine als auch grosse Sparer sowie Hypothekarkreditnehmer, die auf ein funktionierendes Bankensystem angewiesen sind. Dasselbe gilt auch für alle Wirtschaftstreibenden in Liechtenstein.

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