Als Wohngemeinde macht Ruggell seit Jahren genauso von sich reden wie als Wirtschaftsstandort. Vorsteher Christian Öhri schildert, was Einwohner wie Unternehmer an der Gemeinde schätzen und erklärt, wie er die Lebens- und Standortqualität weiterhin hochhalten will. Ausserdem verrät er, wieso er der Ansicht ist, dass die ganze Region von kommunalen Synergien profitieren kann und was sein Kraftort mit Smaragden zu tun hat.
Interview: Heribert Beck
Herr Öhri, etwas mehr als ein Jahr ist es nun her, seit Sie Ihren Posten als Gemeindesekretär aufgegeben und die Führung der Gemeinde übernommen haben. Wie haben Sie dieses Jahr und den Wechsel in die Hauptverantwortung erlebt?
Christian Öhri: Es war ein sehr gutes Jahr mit vielen schönen Momenten, die mir grosse Freude bereitet haben. Wichtige Projekte konnten nahtlos weitergeführt werden, neue sind gestartet worden. Von der Verwaltung wurde ich vom Beginn an tatkräftig unterstützt, wofür ich mich recht herzlich bedanke. Und auch im Gemeinderat herrscht seit Beginn ein sehr gutes Klima, in dem konstruktiv nach den besten Lösungen im Sinne und zum Wohle unserer Gemeinde gesucht wird.
Bereits kurz nach der Amtsübernahme haben Sie mit einer innovativen Idee überrascht und angekündigt, den Gemeindesteuerzuschlag schrittweise zu senken. Was waren die Hintergründe dieses Vorgehens und welche Rückmeldungen haben Sie aus der Bevölkerung erhalten?
Der Landtag und die Regierung haben den Finanzausgleich angepasst, sodass alle Gemeinden die Möglichkeit erhalten, ihren Gemeindesteuerzuschlag auf 150 Prozent zu reduzieren. Und diese Möglichkeit möchten wir auch nutzen – trotz der sehr hohen Investitionen in unsere Infrastruktur, die derzeit anstehen. Dabei muss ich festhalten, dass die Realisierung der neuen Abwasserpumpleitung, die durch das ganze Dorf gezogen wird, für uns ein Jahrhundertbauwerk ist. Die schrittweise Anpassung des Gemeindesteuerzuschlags um je 5 Prozent pro Jahr von 175 auf 150 Prozent erlaubt es uns, mit gutem Gewissen beides unter einem Hut zu bringen: Die hohen Investitionen wie auch die gewünschte Steuersenkung. Und je nachdem, wie die nächsten Jahre verlaufen, werden wir vielleicht den einen oder anderen Schritt überspringen können.
Wie ist es generell um die Ruggeller Gemeindefinanzen bestellt?
Für das Jahr 2023 haben wir, eben aufgrund der angesprochenen Investitionen, gemäss Budget mit einem Minus von 5 Millionen Franken gerechnet. Die Investitionen sind im letzten Jahr schliesslich zwar höher ausgefallen als budgetiert, gleichzeitig nahmen wir umgekehrt aber deutlich höhere Ertragsteuern ein als geplant. Dies war eine sehr positive Überraschung, die für unseren attraktiven und staufreien Wirtschaftsstandort spricht. Die Jahresrechnung 2023 wird Anfang Juni im Gemeinderat behandelt. Wir werden ein negatives Jahresergebnis zur Kenntnis nehmen müssen, aber sicherlich nicht im Umfang von minus 5 Millionen Franken.
Welche grossen Projekte stehen in Ihrer Gemeinde als nächstes an?
Das Land Liechtenstein startet im Spätsommer mit dem Bau des Schulzentrums Unterland II. Die LAK ist in der Planung für das nächste Alters- und Pflegeheim mit 60 Betten, das im Zentrum von Ruggell entstehen wird. Direkt daneben realisieren wir als Gemeinde gemeinsam mit einem Partner ein Generationenhaus, das neben zahlreichen kleinen Wohnungen auch eine Tagesstruktur und Gesundheitspraxen beheimaten wird. Man muss sich vorstellen: Es entstehen dadurch drei riesige Gebäude in Ruggell, die den Dorfcharakter wesentlich beeinflussen. Es entwickelt sich mit dem Alters- und Pflegeheim sowie dem Generationenhaus ein neues Zentrum, das uns eine grosse Chance bietet. Denn gegenüber von diesem Gebäudekomplex können wir das Zentrum bei der alten Sennerei eines Tages mit gutüberlegten Nachfolgeprojekten weiterentwickeln. Dies ist jedoch langfristig gedacht. Neben diesen grösseren Projekten ist es ganz wichtig, die «kleiner» erscheinenden Themen nicht zu vernachlässigen.
Welches sind solche anderen, kleineren Themen, die aber genauso wichtig sind?
Am 25. Mai durften wir am Ruggeller Tag der Biodiversität den Naturschaugarten eröffnen. Gleich mehrere Naturprojekte wurden vorgestellt. Im ganzen Dorfgebiet gibt es wunderschön blühende Wildblumenwiesen, die auch in privaten Gärten gefördert werden. Der Industriekreisel blüht nun ebenfalls in vielen schönen Farben. Es brauchte einfach etwas Zeit und Geduld. Zudem suchen wir gemeinsam mit der Bevölkerung aktuell nach guten Standorten, an denen wir Obst- und Nussbäume im Rahmen eines gemeinsamen Projekts mit dem Verein Biohof Ruggell anpflanzen möchten. Die Früchte können dann von allen Einwohnerinnen und Einwohnern unter Einhaltung von gewissen Rahmenbedingungen geerntet werden.
Am 18. Mai 2024 wurde ausserdem der neue Begegnungsplatz vor dem Küefer-Martis-Huus, unserem Kulturzentrum eröffnet. Es ist ein schöner Platz zum Verweilen und für kulturelle Anlässe entstanden, der mit vielen Sitzgelegenheiten, Bäumen und einem Brunnen ausgestattet ist. Die Entwicklung des Küefer-Martis-Huus ist dem Gemeinderat und mir sehr wichtig. Das Kulturzentrum lädt zu abwechslungsreichen und interessanten Ausstellungen ein. So startete neben der Platzeröffnung eine eigene Ausstellung zur Ruggeller Kulturgütersammlung.
Und dabei ist es wichtig, dass sich die Einwohner grüssen?
Genau. Die Kampagne «Müar z’Ruggäll sägen Hoi» läuft jetzt seit zirka zwei Monaten, und wir haben viele positive Rückmeldungen erhalten. Als kleinere Gemeinde sehe ich die Chance, dass wir dieses Brauchtum des Grüssens erhalten können. Egal, ob man sich kennt oder nicht: Über ein freundliches «Hoi» auf dem Weg freuen sich alle. Mit Plakaten, Bierdeckeln in den Restaurants und einem Fotowettbewerb auf den Social-Media-Kanälen möchten wir unsere Einwohnerinnen und Einwohner auf kreative und sympathische Art und Weise auf die Wichtigkeit des Grüssens aufmerksam machen. Es ist eine kleine Sache, die jedoch eine grosse Wirkung entfaltet.
Sind solche Projekte auch das Geheimnis, das Ruggell als Wohnort so attraktiv macht?
Uns war und ist es wichtig, die Bevölkerung bei verschiedenen Themen stark miteinzubeziehen, um die Gemeinde gemeinsam zu gestalten. So fand Mitte März ein Bevölkerungsworkshop statt, aus dem zwölf kleinere bis grössere Projekte beziehungsweise Themen hervorgegangen sind. Uns ist aber auch klar, dass wir kein landesweites Zentrum wie zum Beispiel Schaan sind. Wir brauchen kein eigenes Kino, sondern haben das in Schaan mitunterstützt. Das Gleiche gilt für die Kletterhalle, welche wir unterstützen und für die nach meiner Ansicht ein idealer Standort zwischen Schaan und Vaduz gefunden werden konnte. Wir haben auch kein eigenes Freibad und keinen Badesee, weil umliegende Gemeinden solche Infrastrukturen vorweisen. Dafür haben wir eine Pumptrackanlage mit Pumpbowl, sowie den Freizeitpark Widau, die auch von den Nachbarn besucht werden. So ist es für mich wichtig, bodenständig zu bleiben und den Austausch mit allen Nachbargemeinden zu pflegen – auch über die Landesgrenzen.
Voneinander können wir nur profitieren und miteinander Synergien nutzen, sodass die ganze Region ein attraktiver Lebensraum ist.
Die Lebensqualität ist das eine, aber auch die Standortattraktivität scheint in Ruggell gross zu sein. Sie haben es in Sachen Ertragssteuern bereits angetönt. Was macht die Gemeinde für Unternehmen so anziehend?
An einem Informationsabend Ende Februar habe ich mich bei meinen Vorgängern bedankt, die bereits vor mehr als 20 Jahren mit dem Ruggeller Industriering eine weit vorausblickende Vision hatten, die heute aus der Gemeinde nicht mehr wegzudenken ist. Man ist in wenigen Minuten von der Autobahn staufrei in einer Industrie-, Gewerbe und Dienstleistungszone, die alles bietet. Mittlerweile ist unsere kleine Stadt im Dorf, wie ich gerne sage, auch vom ÖV gut erschlossen, dies nicht nur Richtung Oberland, sondern auch direkt an den S-Bahnhof in Salez und an den Bahnhof in Feldkirch. Unser Bestreben ist, dass der öffentliche Verkehr in Ruggell weiter stark ausgebaut und gestärkt wird, und diesbezüglich zeichnen sich im Moment sehr gute Lösungen auf den Fahrplanwechsel 2025 hin ab. Zudem freut es uns, dass wir unseren interessanten Wirtschaftsstandort in diesem Jahr als Gastgemeinde an der Lihga vorstellen dürfen.
Neben dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs ist Ruggell als Fahrraddorf bekannt. Ist das Fahrradwegnetz auf dem neusten Stand?
Sehr intensiv sind wir gemeinsam mit der Gemeinde Sennwald in der Planung für die neue Fuss- und Radverkehrsbrücke über den Rhein. Die jetzige Rheinbrücke lässt keine Fahrradstreifen zu, und auf dem Trottoir ist das Radfahren nicht gestattet, da das Geländer nicht hoch und das Trottoir nicht breit genug ist und die Kanten zu hoch sind. Dies macht das Überqueren sowohl für Familien als auch für Pendler sehr gefährlich. Unser grosses Ziel ist es, dass wir als Fahrradgemeinde auch gut und sicher an die Schweiz angebunden sind und umgekehrt, sei es in der Freizeit oder als Pendler zum S-Bahnhof. Diese sichere Verbindung ist für den bestehenden Dreiländerweg und die Hauptfahrradroute von Österreich kommend ebenfalls sehr wichtig. Zudem möchten wir verschiedene Abschnitte ausbauen wie zum Beispiel ein Teilstück von Österreich direkt in den Industriering.
Auch in Ruggell scheint aber vermutlich nicht immer nur die Sonne. Mit welchen Herausforderungen haben Sie aktuell zu kämpfen und wie möchten Sie diese bewältigen?
Momentan beschäftigt uns der Vandalismus durch Jugendliche sehr. Wir haben mit einem Ausbau der Videoüberwachung reagiert. Jedoch sind uns die Prävention und die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen viel wichtiger. Gemeinsam mit der Jugendkommission und der Offenen Jugendarbeit sind wir daran, Massnahmen zu erarbeiten. So wollen wir beim Vereinshaus zum Beispiel einen Platz gestalten, auf dem Jugendliche in einem sicheren Rahmen verweilen können.
Zum Abschluss noch ein «weicheres» Themen: In diesen Tagen startet die Blütezeit der geschützten Schwertlilien im Ruggeller Riet? Erwarten Sie einen grossen Andrang aus nah und fern?
Uns ist es wichtig, dass unser Naturschutzgebiet nicht international beworben wird. Es ist unser Naherholungsgebiet und ebenfalls mein persönlicher Energie- und Kraftort – wie für viele andere auch. Damit wir dieses Naturparadies noch lange in vollen Zügen geniessen können, war es ein Bestreben von Land und Gemeinde, dass es von der Berner Konvention des Europarats als Smaragdgebiet anerkannt wird. Diesbezüglich sind wir auf ganz gutem Wege, was mich sehr freut. Mit Plakaten vor Ort und einer gemeinsamen Social-Media-Kampagne mit der Stadt Feldkirch weisen wir auf Verhaltensregeln hin und sind allen sehr dankbar, die sich daran halten und auch andere darauf hinweisen. So freuen wir uns auf vorbildliche Besucherinnen und Besucher.