Kaum sind die ersten Abstimmungen des Jahres vorüber, steht die nächste an. Die DpL streben eine Direktwahl der Regierung durch das Volk an. Regierungschef Daniel Risch zeigt auf, -welche Risiken die Verfassungsinitiative für den Dualismus zwischen Fürst und Volk als Garant für -Liechtensteins Wohlstand und Lebensqualität birgt.
Interview: Heribert Beck
Sie haben die Abstimmung über den Einbezug der Bevölkerung bei der Wahl der Regierung kurz vor Weihnachten als massgebendsten Urnengang 2024 bezeichnet. Woran liegt das?
Regierungschef Daniel Risch: Wann immer an der Verfassung Änderungen vorgenommen werden, geht es um fundamentale Fragen, konkret um das Zusammenspiel der obersten Staatsorgane. Solche Anpassungen sollten gut durchdacht sein. Mit Blick auf den Verfassungskommentar, nachzulesen unter verfassungskommentar.li, ist zu Artikel 79 zu lesen, dass das Prinzip der gemeinsamen Bestellung der Regierung durch Fürst und Parlament als Herzstück der Kompetenzregelung der Verfassung von 1921 bezeichnet wird und ein wesentlicher Teil des damals gefundenen Kompromisses ist. Wenn man von den Initianten hört, es handle sich nur um eine kleine Anpassung, dann trifft das den Kern der Initiative nicht, da es sich um einen direkten Eingriff in den bewährten Staatsaufbau handelt – mit noch unabsehbaren Folgen.
Sie stehen dem Vorstoss kritisch gegenüber. Welche Auswirkungen befürchten Sie im Fall einer Annahme?
Meiner Meinung nach müssten im Volksrechtegesetz noch zahlreiche Fragen, welche die Initiative offenlässt, geklärt werden. Beispielsweise ob Regierungsmitglieder mit relativem oder absolutem Mehr gewählt werden. Bei der von den Initianten bevorzugten relativen Mehrheit besteht die Möglichkeit, dass ein gewähltes Regierungsmitglied bei fünf Kandidaten beispielsweise mit nur 21 Prozent der Stimmen gewählt wäre – sehr demokratisch wäre das nicht. Ein weiteres Problem: Wenn in Landtag und Regierung andere politische Kräfte die Mehrheit stellen kann es zu politischen Blockaden und Neuwahlen kommen. Das heutige Koalitionssystem verhindert dies und stellt die Handlungsfähigkeit des Staates sicher. Ein wichtiger Punkt ist auch die neue stärkere Stellung des Regierungschefs, der im ganzen Land gewählt würde. Diese Position kommt in anderen Ländern dem Präsidenten zu. Bei uns würde der Regierungschef mit dem Landtagspräsidenten als höchstem gewählten Volksvertreter und mit dem Fürsten als Staatsoberhaupt in Konkurrenz stehen. Ein direkt gewählter Regierungschef hätte in der Regierung ausserdem unter Umständen keine Mehrheit und könnte sich in diesem Gremium vielleicht nicht durchsetzen. Das sind alles Probleme, die man in anderen Ländern aus gutem Grund vermeidet. Auch wir sollten ein solches Risiko nicht eingehen. Und dann gibt es meines Erachtens auch handwerkliche Fehler in der Initiative: Wenn der Landtag ein einziges Regierungsmitglied nicht bestätigen würde, käme es umgehend zu Neuwahlen, und zwar von Landtag und allen Regierungsmitgliedern – anders gesagt ist das nur eine sehr theoretische Möglichkeit, die der Landtag hat, die in der Praxis keine Relevanz haben wird. Wir sollten uns vor Augen führen, dass unser Staat seit vielen Jahrzehnten sehr gut und stabil funktioniert. Das sollten wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
Sehen Sie auch Vorteile in einer Volkswahl der Regierung?
Wenn man die Position der Regierung stärken möchte, ergibt die direkte Volkswahl natürlich Sinn. Ein Aspekt, den ich anerkenne, ist, dass es bei den Landtagswahlen dann mehr um die Abgeordneten und weniger um die künftige Regierung ginge. Ganz grundsätzlich bin ich ein grosser Befürworter von demokratischen Rechten und schätze unsere umfassenden Instrumente des Referendums, der Initiative und natürlich der Wahl. Unsere Vorfahren haben sich aber bewusst für eine dualistische Staatsform entschieden, bei der Fürst und Volk gemeinsam entscheiden. Dort sehe ich beim Vorschlag der Initianten das Hauptproblem.
Wagen Sie eine Prognose, wie die Abstimmung ausgehen wird?
Ich gehe davon aus, dass sich das Stimmvolk eingehend mit den Vor- und Nachteilen auseinandersetzt und dann einen guten Entscheid fällt.
Die Direktwahl der Regierung wird bereits die vierte Volksabstimmung im Jahr 2024. Weitere dürften folgen. Wird es Ihres Erachtens einen Einfluss auf die nach wie vor vergleichsweise hohe Stimmbeteiligung haben, wenn die Liechtensteiner immer häufiger an die Urne gebeten werden?
Das denke ich nicht. Der Start ins Abstimmungsjahr war bezüglich der Stimmbeteiligung etwas ernüchternd, im Vergleich mit anderen Ländern aber immer noch sehr hoch. Ich freue mich immer über eine hohe Stimmbeteiligung, weil sie Ausdruck des gemeinsamen Entscheidens ist.