Steueraffäre 2008
Am Mittwoch jährt sich ein Ereignis zum 16. Mal, das Liechtenstein in seinen Grundfesten erschüttert hat: die Verhaftung von Klaus Zumwinkel, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG. Wohl nur der Name Heinrich Kieber wurde in Liechtenstein in
Zusammenhang mit dieser Steueraffäre häufiger genannt.
Text: Heribert Beck
Für die Kalenderwochen 7 und 8 des Jahres 2008 stand einiges an Hochkarätigem auf der politischen Agenda Liechtensteins. Am 14. Februar feierte Fürst Hans-Adam II. seinen 63. Geburtstag mit einem Empfang auf Schloss Vaduz. Gleichentags präsentierte Regierungschef Otmar Hasler die Vision «Futuro» zur Zukunft des Finanzplatzes und Wirtschaftsstandorts Liechtenstein. Am 15. Februar fand die Eröffnung des neuen Landtagsgebäudes statt. Für den 19. und 20. Februar war der Besuch des Regierungschefs bei Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin geplant. Doch ein Ereignis in rund 650 Kilometer Entfernung überschattete all dies: Am Morgen des 14. Februar wurde in Köln das Privathaus von Klaus Zumwinkel, Vorstandschef der Deutschen Post und Aufsichtsratspräsident der Deutschen Telekom, durchsucht. Zur Last gelegt wurden ihm Geldanlagen bei einer Stiftung nach liechtensteinischem Recht bei der LGT – oder nach bundesdeutschem Verständnis simpel Steuerhinterziehung. Damit geriet der Ball ins Rollen, und in Deutschland sowie in Liechtenstein wurde der grösste bisher in der Bundesrepublik eingeleitete Komplex von Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung bekannt. So gerieten aber nicht nur Steuersünder, sondern auch die Liechtensteiner Regierung unter Zugzwang.
Über 6 Millionen Franken für Hehlerware
Noch herrschte Unklarheit darüber, woher die plötzlichen Enthüllungen kamen. Doch schon am 18. Februar war im «Liechtensteiner Vaterland» auf der Titelseite zu lesen, dass die Steueraffäre «zum Flächenbrand zu werden» drohe. Und weiter: «Die Liechtensteiner Rechtshilfe in Fiskalsachen steht zwar nicht zum ersten Mal im Kreuzfeuer der Kritik, doch die Mittel, zu denen Deutschland diesmal greift, werfen in rechtsstaatlicher Hinsicht Fragen auf. Wie am Wochenende bekannt wurde, war das Bundeskanzleramt über die Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes (BND) am Kauf der brisanten Liechtensteiner Bankdaten informiert.» Doch wie der BND in den Besitz dieser Daten gelangt war, wurde noch gerätselt. Zumindest die Öffentlichkeit rätselte immer noch, als Otmar Hasler in Berlin eintraf und sich zunächst mit dem kürzlich verstorbenen Innenminister Wolfgang Schäuble austauschte. Dabei ging es vorranging um das Thema des verzögerten Schengen-Beitritts, denn damals zeichnete sich ab, dass Liechtenstein für einige Zeit zu seinen beiden Nachbarn eine Schengen-Aussengrenze bilden würde. Doch auch die aktuellen Ereignisse wurden angesprochen. Schäuble erkannte an, dass sich in Liechtenstein einiges verbessert habe, Steueroasen gehörten aber trotzdem nicht mehr nach Europa, betonte er.
In der gleichen Ausgabe des «Liechtensteiner Volksblatts», in der über das Treffen mit Wolfgang Schäuble berichtet wurde, stand auch ein Artikel mit dem Titel «Dem Verräter auf der Spur». Darin äusserte sich der damalige Leitende Staatsanwalt Robert Wallner dahingehend, dass er es «befremdlich» finde, «dass deutsche Behörden Geld an einen Verbrecher zahlen, um gestohlene Ware in Besitz zu bringen». Auch wird vom Verdacht gegen zwei Männer berichtet, einen «heute etwa 50-Jährigen» mit dem Namen «Heinrich K.» und einen «42-jährigen Liechtensteiner, der von April 2001 bis November 2002 bei der LGT-Treuhand beschäftigt war». Dass es sich um dieselbe Person handelte, war zu Beginn offenbar noch nicht klar – im Gegensatz zur Kaufsumme von 4,2 Millionen Euro, damals mehr als 6 Millionen Franken, die der BND für die CD mit den Steuersündern bezahlt hatte.
«Wir sind nicht in Entenhausen»
Während Regierungschef Hasler noch in Berlin weilte, gingen in Liechtenstein Erbprinz Alois und Regierungschef-Stellvertreter Klaus Tschütscher zur Verteidigung über. Der Thronfolger sprach von «einem überrissenen Angriff» auf das Land und den Finanzplatz sowie von einer «bewusst inszenierten Medienkampagne». Tschütscher fühlte sich angesichts des Jargons der deutschen Behörden, die davon sprachen, «eine Bank geknackt» zu haben, an seine Kindheit erinnert. «Wir sind hier in Liechtenstein und nicht in Entenhausen», sagte er in Anlehnung an die legendären Panzerknacker aus den Donald-Duck-Comics.
In Berlin wurde derweil Klartext gesprochen. Otmar Hasler dankte Angela Merkel in der Pressekonferenz, die auf eine gemeinsame Unterredung folgte und so viele Medienvertreter anzog wie kaum je ein Liechtensteiner Staatsbesuch, für ein «offenes und konstruktives Gespräch». Die Bundeskanzlerin erkannte, wie schon ihr Innenminister, an, dass Liechtenstein viel unternehme, damit das Ausland Steuersünder zur Verantwortung ziehen könne, in einigen Bereichen der Kooperation könnten aber auch noch Fortschritte erzielt werden. Die Geschehnisse in Deutschland zielten jedoch nicht gegen Liechtenstein, sondern gegen deutsche Steuerflüchtlinge. Gleichzeitig berichteten deutsche Medien aber auch, Merkel habe Otmar Hasler angedroht, Liechtensteins Schengen-Beitritt zu verzögern.
Kieber sieht sein Leben in Gefahr
In Liechtenstein wurde inzwischen immer klarer, wer der «Verräter» war. Am 12. März 2008 publizierte das «Vaterland» auf Seite 3 den internationalen Haftbefehl, der gegen den 42-jährigen Heinrich Kieber ergangen war. Der lebte aber, wie es im Begleitartikel hiess, längt unter anderem Namen und mit neuen Reisedokumenten, die ihm der BND ausgestellt hatte. Dennoch beschwerte Kieber sich bei seinem «Agentenführer», dass der Bundesnachrichtendienst sein Leben in Gefahr gebracht habe. Allerdings bedurfte es keines Informationslecks beim BND, um Kieber zu enttarnen. Er hatte bereits 2002 versucht, die LGT oder Landesfürst Hans-Adam mit Daten zu erpressen, die er sich beschafft hatte, als er damit beauftragt war, das Papierarchiv der LGT-Treuhand zu digitalisieren. Für diesen Erpressungsversuch wurde Kieber erstinstanzlich zu vier Jahren Haft verurteilt. Eine Strafe, die in der zweiten Instanz zu einem Jahr auf Bewährung umgewandelt wurde.
Allerdings könnte oder dürfte der BND noch eine zweite Quelle gehabt haben, da er offenbar über Daten bis zum Jahr 2005 verfügte, die Kieber sich bei seiner im November 2002 endenden Tätigkeit nicht beschafft haben kann. Er könnte bewusst als Informant lanciert worden sein, um die tatsächliche Quelle zu schützen, spekulierte etwa die «Süddeutsche Zeitung». Dennoch blieb Heinrich Kieber für die Liechtensteiner Öffentlichkeit der wahre Schuldige, dessen Spur sich aber nicht wieder aufnehmen liess. Nur einmal noch hörte man in Liechtenstein von ihm, als die Wirtschaftszeitung «The Australian Financial Review» im Juli 2011 enthüllte, dass Kieber sich seit August 2010 über mehrere Monate unter dem Namen Daniel Wolf als österreichischer Financier im Vorruhestand ausgegeben hatte und in der Stadt Gold Coast in der Nähe von Brisbane gelebt habe. Nachdem die Zeitung Anfang Mai 2011 einen Artikel über Kieber mit einem früheren Foto von ihm publiziert hatte, tauchte Daniel Wolf unter, stritt aber in einer E-Mail gegenüber der Zeitung ab, der international zur Verhaftung ausgeschriebene Kieber zu sein.
Die Weissgeldstrategie zeigt Erfolg
Liechtenstein und sein Bankgeheimnis gerieten in der Folge der Steueraffäre zunehmend unter Druck. Die schwarze Liste der OECD, auf der es landete, wurde sozusagen zum roten Tuch, dem mit der Weissgeldstrategie begegnet wurde. Die Regierung unternahm grosse Anstrengungen, um wieder von dieser Liste entfernt zu werden. Ein wesentlicher Schritt war die «Liechtenstein Declaration», die Erbprinz Alois zusammen mit Klaus Tschütscher, inzwischen designierter Regierungschef, und Otmar Hasler am 12. März 2009 bekanntgab. Darin bekannte sich Liechtenstein zu den OECD-Standards und zu Transparenz sowie Informationsaustausch in Steuerfragen. Das Schliessen von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) und Abkommen zum steuerlichen Informationsaustausch (TIEA) wurde in der Folge zur Standardaufgabe in Liechtensteins Finanz- und Aussenpolitik. Im Oktober 2015 konstatierte die OECD, dass Liechtenstein weitestgehend konform mit ihren Vorgaben handle. Schon knapp vier Jahre zuvor war der Beitritt zum Schengen-Raum erfolgte und der Zustand der Aussengrenze am Alpenrhein existierte nicht mehr. Nach der Grenze zur Schweiz war auch jene zu Österreich nun komplett offen. Personenkontrollen finden seither keine mehr statt. Dass Heinrich Kieber je davon profitieren wird, ist aber mehr als zweifelhaft.