Lehrlingsmangel in Liechtenstein

Medienakademie

Genauso schwierig wie die Suche nach Fachkräften gestaltet es sich für viele Unternehmen ihre Lehrstellen zu besetzen. Eine Jungjournalistin hat sich bei Dienstgebern, dem Regierungschef, der LIHK und einem Lehrling umgehört, woran es liegt.

Ein Dienstgeber von vielen ist der Detailhandel Greber in Vaduz, eine Lehrstelle für Detailhandel ist noch immer unbesetzt. Das Familienunternehmen in dritter Generation bildet seit Jahrzehnten junge Liechtensteiner aus. Firmenchefin Nicole Bauer-Greber übernahm den Betrieb im Jahr 2012 von ihren Eltern. Nun ist das erste Jahr, in dem sie die einzige Ausbildungsstelle nicht besetzen kann. „Wir haben sehr wenig Bewerber im Vergleich zu den anderen Jahren.“ Das generelle Interesse an der Ausbildung im Detailhandel sinke. Die Betreuung eines Auszubildenden sei für Bauer-Greber währenddessen mehr Arbeit als Nutzen. „Ich profitiere aber natürlich langfristig davon, wenn in unserer Branche gute Fachkräfte ausgebildet werden.“

Vielfältige Ursachen

126 Lehrstellen in Liechtenstein sind unbesetzt. Das wirkt sich aktuell und künftig auf die Wirtschaftsleistung aus. In anderen deutschsprachigen Ländern ist die Situation ähnlich. Österreich hatte im Jahr 2022 mit knapp 9.700, so viele unbesetzte Lehrstellen wie noch nie. In Deutschland und in der Schweiz ist die Situation nicht besser. Der Fachkräftemangel ist schon lange ein Thema, jetzt wird die Situation auch beim Nachwuchs dramatischer.

Es gibt viele Ursachen für unbesetzte Lehrstellen. Eine davon nennt Michael Gerner vom Amt für Berufsbildung und -beratung (ABB). „Die Haltung der Eltern ist nicht zu unterschätzen, welche bei der Berufswahl ihrer Kinder eine wichtige Rolle spielen.“ Regierungschef Dr. Daniel Risch sagt dazu in einem Hintergrundgespräch mit der Medienakademie: „Der Grund, warum wir so viele unbesetzte Lehrstellen haben ist, dass einerseits unsere Wirtschaft sehr gut funktioniert und wir andererseits zu wenige Kinder haben.“ Aktuelle Zahlen des Amtes für Statistik zeigen, dass es längst mehr Arbeitsplätze als Einwohner gibt.

Es gibt Lösungsansätze

Michael Gerner erklärt einen Lösungsansatz. „Die gemeinsam von Staat und Wirtschaft angebotenen Dienstleistungen im Rahmen des Berufswahlprozesses sind für den Berufswahlentscheid von zentraler Bedeutung.“  Zu berücksichtigen sei, dass die Anzahl der Schulabgänger aus den Sekundarschulen des Landes noch vor ein paar Jahren rund 10 bis 15 Prozent höher war. Die Geburtenrate stieg nicht entsprechend dem Wirtschaftswachstum und die Möglichkeiten der Regierung sind beschränkt. „Wir können ja nicht verordnen, dass mehr Kinder gezeugt werden“, sagt der Regierungschef schmunzelnd.

Ein Teil der freien Lehrstellen wird seit vielen Jahren durch Schulabgänger aus der umliegenden Region besetzt. 29 Prozent der Lernenden pendeln aus der Schweiz, ein Prozent kommt aus Österreich. Risch bringt es auf den Punkt. „Der sogenannte ,War for Talents‘ ist entfacht und bei den Lernenden angekommen. Die Angebote in den umliegenden Regionen sich auch entsprechend gut.“

Beim Bautechnologiekonzern Hilti, Liechtensteins zweitgrösstem Arbeitgeber, läuft die Suche nach Lernenden nach Plan. „Im August haben 23 Lernende ihre Berufsausbildung bei uns angefangen. Wir konnten alle Lehrstellen besetzen“, freut sich Remo Kluser, Leiter Berufsausbildung bei der Hilti AG. „Wir engagieren uns vielseitig, um junge Menschen mehr für technische Berufe zu begeistern. Wichtig ist dabei aufzuzeigen, dass eine technische Ausbildung eine ausgezeichnete Grundlage für die berufliche Weiterentwicklung ist, die zahlreiche Perspektiven eröffnet.“

Lernende der Hilcona AG

Der Schaaner Lebensmittelhersteller Hilcona spricht von einem „erfolgreichen Rekrutierungsjahr“. Zwölf neue Lehrlinge haben in sechs Berufen begonnen. In der internen Hilcona-Hitparade liegen die Lehrstellen in IT, Logistik, Kaufmann/-frau und Lebensmitteltechnologie vorne. Günter Grabher koordiniert die Berufsausbildung in diesem Konzern. „Die Lehrlinge sind unsere Fach- und Führungskräfte von morgen.“ Um Jugendliche in den Betrieb einzugliedern, veranstaltet die Hilcona Kennenlerntage für alle Lernenden und drei Erlebnistage im Herbst. Die Firma lockt Junge mit bezahlten Fahrtkosten oder einem Zuschuss von 300 CHF „für deinen Laptop“.

Herausforderungen für die Zukunft

Hannah Oberparleiter

Remo Kluser von Hilti spricht über die „Herausforderung, das Ansehen der Berufsausbildung in der Gesellschaft weiter bzw. wieder zu erhöhen“. Hannah Oberparleiter ist bei der Hilti AG angehende Polymechanikerin im dritten Lehrjahr. Für sie war schon lange vor ihrem Schulabschluss klar, dass sie eine Lehre beginnen möchte. Sie sieht vor allem Vorteile in einer Berufsausbildung. „Ich interessiere mich schon immer für Technik und finde eine Berufsausbildung gut, weil ich in jungen Jahren selber Geld verdiene, in die Berufswelt einsteige und auch viel fürs Leben lerne.“ Lehrlinge lernen zum Beispiel mit Geld umzugehen, Verantwortung zu tragen und ihre Verpflichtungen einzuhalten.

Polymechaniker Hilti AG

Es gibt eine enge Verbindung zwischen den unbesetzten Lehrstellen und der Entwicklung des Fachkräftemangels. Patrick Elkuch, Projektleiter Liechtensteinische Industrie- und Handelskammer (LIHK), und alle befragten Unternehmen sind sich einig: Es müsse in die qualitativ hochwertige Ausbildung junger Talente investiert werden, um die Fachkräfte der Zukunft auszubilden. „Das Engagement der Unternehmen ist sehr hoch“, findet Patrick Elkuch. „Die Liechtensteiner Industriebetriebe setzen sich beispielsweise mit AGIL, der Arbeitsgruppe Industrie/Lehre der LIHK, aktiv für die Förderung des Lehrlingswesens in der Region ein“. Mitglieder der AGIL sind die acht grössten Ausbildungsbetriebe in der Industrie. Elkuch gewinnt dem Lehrlingsmangel auch gute Seiten ab. „Dass die Unternehmen so viele Stellen ausschreiben zeigt, wie gut unsere Wirtschaft ist.“

Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Projektes der Medienakademie an der Universität Liechtenstein entstanden.