Corona, der Krieg in der Ukraine, drohende Energiemangellagen, explodierende Energiepreise, steigende Inflation und Hypothekarzinsen, Arbeitskräftemangel – die Legislaturperiode 2023 bis 2025 ist geprägt von Herausforderungen. Liechtenstein Regierung ist es gelungen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Beste aus der wirtschaftlich und gesellschaftlich schwierigen Situation zu machen.
Herr Regierungschef, sie haben vor wenigen Wochen zusammen mit Regierungschef-Stellvertreterin Sabine Monauni die Halbzeitbilanz der Regierung zur Legislaturperiode 2023 bis 2025 präsentiert. Hand aufs Herz: Was war die grösste Herausforderung in dieser Zeit?
Regierungschef Daniel Risch: Ich denke nicht, dass man eine Herausforderung hervorheben kann. Eher würde ich generell von herausfordernden Zeiten sprechen, in denen wir aktuell leben. Die Corona-Pandemie ist zwar medizinisch überstanden, wirtschaftlich und gesellschaftlich spüren wir ihre Ausläufer aber durchaus noch. Der Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen im humanitären Bereich sowie auf den Energiemärkten fordern die Bevölkerung genauso wie Liechtensteins Unternehmerinnen und Unternehmer und die Politik, der Arbeitskräftemangel trägt sein Übriges zur schwierigen Lage bei, und die Preissteigerungen aufgrund der Inflation sind für jeden spürbar. Trotz allem sind wir in Liechtenstein – verglichen mit anderen auch europäischen Ländern – nach wie vor in einer vergleichsweise sehr guten Lage.
Worauf führen Sie das zurück?
Ich habe schon früher immer wieder betont, dass Liechtenstein nicht einfach passiert ist, sondern von unseren Vorfahren gemacht wurde. Heute ist es unsere Aufgabe, die guten Rahmenbedingungen, die sie uns hinterlassen haben, zu nutzen und zu erhalten, sie also nicht nur zu verwalten, sondern unsere Zukunft und die unseres Landes in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Aufgrund der Rahmenbedingungen und der Erfahrungen, die ich in den vergangenen sechs Jahren in der Regierung sowie zuvor in der Privatwirtschaft gemacht habe, erweitere ich meine Aussage gerne noch um die Feststellung, dass Liechtenstein auch in herausfordernden Zeiten gut funktioniert.
Was führt Sie zu dieser Überzeugung?
Damit meine ich den grundsätzlichen Zusammenhalt in der Bevölkerung wie auch das Funktionieren der Institutionen auf Gemeinde und Landesebene und insbesondere auch die direkte Demokratie. Es gibt auch noch weitere ausgewählte Punkte: Da ist zunächst die Landesrechnung 2022. Dass Liechtenstein darin einen Verlust verbuchen musste, ist zwar nicht erfreulich, aber den globalen Umständen geschuldet. In den vergangenen Jahren war es vor allem das Finanzergebnis, das für die überaus erfreulichen Zahlen und steigende Reserven gesorgt hat. Dass dies für einmal nicht der Fall sein wird, war angesichts der negativen Entwicklungen an den Börsen bereits früh im Lauf des vergangenen Jahres klar. Diese Mal aber fiel das betriebliche Ergebnis, und das ist für mich die eigentliche Botschaft der Rechnung 2022, mit einem Plus von über 100 Millionen Franken überaus positiv aus. Zwar konnte es die Verluste an den Märkten nicht kompensieren. Ein positives betriebliches Ergebnis sorgt aber für Stabilität. Darauf lässt sich aufbauen, während sich die Börsenentwicklung nicht einplanen, beeinflussen oder voraussagen lässt. Dass Liechtenstein trotz der negativen Rechnung 2022 finanziell auf äusserst gesunden Beinen steht, hat «S&P Global Rating» Ende Mai zum wiederholten Mal bestätigt. Die Ratingagentur hat die langfristige Triple-A-Bewertung im Rahmen ihrer halbjährlichen Überprüfung der Bonität erneut unterstrichen und einen stabilen Ausblick konstatiert. In diesem Zusammenhang freuen mich auch die positiven Rückmeldungen sehr, die ich im Rahmen des ersten Moneyval-Ministertreffens Ende April in Warschau erhalten habe. Auf Einladung Polens kamen dort Minister und hochrangige Beamte der 35 Mitgliedsländer zusammen und diskutierten den Stand der Umsetzung der nationalen Regelungen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Für unser Land hat die kontinuierliche Stärkung und strategische Ausweitung dieser Massnahmen oberste Priorität. Ich hatte die Gelegenheit, mich mit zahlreichen anderen Finanz- und weiteren zuständigen Ministern auszutauschen. Liechtensteins Engagement wurde dabei immer wieder lobend hervorgehoben.
Welche positiven Signale haben Sie abseits des finanzpolitischen Bereichs dafür erhalten, dass «Liechtenstein funktioniert»?
Sehr eindrücklich waren die Feierlichkeiten zum 100-Jahr-Jubiläum des Zollvertrags. Der Anlass auf der Rheinbrücke zwischen Vaduz und Sevelen war nicht nur ein grossartiges Volksfest, sondern auch eine Manifestation der freundschaftlichen Beziehungen, die uns mit der Schweiz verbinden. Diese Freundschaft leben beide Staaten und ihre Vertreterinnen und Vertreter, aber auch ihre Bevölkerung, täglich auf den unterschiedlichsten Ebenen. Der Zollvertrag ist ein Symbol unter vielen für das Band zwischen der Schweiz und Liechtensteins, vertraglich aber natürlich das Wichtigste. Mit dem Festakt vom 25. April konnten wir uns dies wieder einmal ganz besonders ins Gedächtnis rufen. Freundschaftliche Beziehungen pflegen wir jedoch selbstverständlich nicht nur mit der Schweiz. Generell wird Liechtenstein auf dem internationalen Parkett wieder grössere Achtung entgegengebracht. Es wird wahrgenommen, was wir trotz unserer vergleichsweisen kleinen Grösse leisten. Dies durfte ich gerade wieder an zwei hochrangig besuchten Konferenzen erfahren. Einerseits war dies das Gipfeltreffen der Regierungschefs der Europäischen Politische Gemeinschaft in Moldau am 1. Juni, andererseits das Gipfeltreffen des Europarats in Island zwei Wochen zuvor. Solche Konferenzen sind für uns sehr wertvoll.
Ein anderes Beispiel ist innenpolitischer Natur: die Vereidigung der Gemeindevorsteherinnen und vorsteher sowie ihrer Stellvertreter und der Stellvertreterin, die ich am 12. Mai vornehmen durfte. Dort war spürbar, mit welchem Elan die politischen Vertreter der Gemeinden ihre Aufgaben angehen und dass sie sich auch nicht davor scheuen, heisse Eisen anzupacken. Ich denke dabei rückblickend insbesondere an solche, die Land und Gemeinden gemeinsam betreffen, wie die beinahe abgeschlossene Anpassung des Finanzausgleichs oder die Revision des Religionsgemeinschaftengesetzes. Gerade in einem kleinen Land wie Liechtenstein ist es von immenser Bedeutung, dass beide Verwaltungsebenen an einem Strick ziehen, um im Dialog die bestmöglichen Resultate für die Bevölkerung zu erzielen.
Bei allen positiven Botschaften stehen Ihnen und der gesamten Regierung aber auch einige Herausforderungen bevor. Stichworte sind die erneut – oder nach wie vor – sanierungsbedürftige Pensionsversicherung der Staatsangestellten und die Auswirkungen der Inflation sowie vor allem der Energiepreise auf die Bevölkerung.
Was die Neuausrichtung der staatlichen Pensionskasse betrifft, bin ich zunächst froh, dass der Landtag sich im April dafür ausgesprochen hat, die aktiv Versicherten strukturell von den Rentnern zu trennen, wie die Regierung es vorgeschlagen und favorisiert hat. Zwar kommt ein hartes Stück Arbeit, auch Überzeugungsarbeit, auf die Regierung zu. Denn wie ich es bereits im Landtag gesagt habe: Wir können nicht alle glücklich machen. Das Ziel ist es daher, eine Lösung zu finden, mit der alle – die direkt und indirekt Betroffenen und die Bevölkerung – einverstanden sind. Dies, um die Stiftung Personalvorsorge Liechtenstein endlich dauerhaft auf gesunde Beine zu stellen.
Was die Auswirkungen von Inflation und Energiekosten betrifft, setzt die Regierung bekanntlich darauf, jenen Menschen und Unternehmen durch Unterstützungsbeiträge zu helfen, die wirklich darauf angewiesen sind. Ich bin mir bewusst, dass es auch die meisten anderen Einwohnerinnen und Einwohner finanziell zum Teil empfindlich trifft. Überstürzte Massnahmen bringen uns aber nicht weiter. Wir müssen genau hinschauen, wo Hilfe am dringendsten nötig ist. Ein Instrument dafür ist der Armutsbericht, den ich der Öffentlichkeit am 22. Mai zusammen mit Fachpersonen des Amts für Statistik präsentieren konnte. Um künftig ein effektives Monitoring der Situation zu ermöglichen, werden die Daten zum Einkommen der Haushalte zukünftig jährlich erhoben. Damit allein haben wir zwar noch niemandem geholfen, aber eine entscheidende Grundlage dafür geschaffen, künftig noch zielgerichteter helfen zu können.
Wie lautet Ihr persönliches Fazit zur ersten Hälfte der Legislaturperiode?
Von 123 Massnahmen, die wir gemäss Regierungsprogramm umsetzen wollen, haben wir 41 bereits erledigt. Die restlichen 82 sind in der Umsetzung begriffen. Das sind die «nackten» Zahlen. Zu den konkreten Massnahmen im Regierungsprogramm kamen aber natürlich noch zahlreiche Aufgaben hinzu, die wir im Sommer 2021 noch nicht vorhersehen konnten. Ich bin zuversichtlich, dass wir unsere ambitionierten Ziele bis Anfang 2025 zum weitaus grössten Teil erreicht haben – trotz aller Herausforderungen, die sich nach der Erarbeitung des Programms neu ergeben haben und die tägliche Arbeit mitbeeinflussen. Was mir persönlich aber besonders wichtig ist, ist die Transparenz, die wir an den Tag legen. Die Präsentation der Halbzeitbilanz ist ein Beispiel dafür. Wir beschönigen nichts, sondern zeigen auf, wo wir stehen. Denn Transparenz ist für mich ebenfalls ein Gradmesser für Stabilität. Gerade in unsicheren Zeiten. Sie sorgt mit dafür, dass Liechtenstein weiterhin funktioniert und dass man sich auch auf das politische Handeln verlassen kann. Es ist mir dabei als Regierungschef durchaus bewusst, dass nicht jede und jeder mit allen Entscheiden einverstanden ist. Die Aufgabe der Exekutive, sprich der Regierung, sehe ich aber darin, Lösungen zu finden und Entscheidungen zu treffen, die für eine Mehrheit der Bevölkerung im Hier und Jetzt und für die Zukunft unseres Landes das bestmögliche Ergebnis bringen. Für diese Überzeugung setze ich mich gerne ein.