Bezahlbarer Wohnraum

Im reichen Liechtenstein ein sozialpolitisch wichtiges Thema

Das «Dach über dem Kopf» gehört zu unseren Grundbedürfnissen. Das Wohnen beansprucht in der Regel einen relevanten Teil des Einkommens. Aktuell rücken die Wohnkosten vor allem wegen höherer Zinsen und Energiepreise stärker ins Blickfeld. Und wer die Berichterstattung über die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt in der benachbarten Schweiz verfolgt, fragt sich, ob nicht auch Liechtenstein über kurz oder lang eine Wohnungsnot droht. Diese Fragenstellungen haben Zukunft.li dazu bewogen, das Thema näher zu beleuchten und eine Kurzpublikation mit dem Titel «Mietwohnungsmarkt Liechtenstein, Vergleich – Entwicklung – Hintergründe» vorzulegen.

Eines vorweg: Wer sich mit diesen Fragen beschäftigt, stösst rasch auf Datenlücken. Aktuelle Informationen zum Wohnungsmarkt werden in Liechtenstein nicht erhoben. Wir wissen beispielsweise nicht, wie das Grundeigentum verteilt ist und können deshalb nicht überprüfen, ob das Grundverkehrsgesetz sein Ziel «einer möglichst breiten, sozialverträglichen und der Grösse des Landes entsprechenden Streuung» erreicht. Auch aktuelle Daten zu Mieten, Boden- und Immobilienpreisen liegen nicht vor. In anderen Bereichen hat sich die Datenlage in den letzten Jahren verbessert, es fehlen aber immer noch wesentliche Informationen, die für eine Beobachtung der Entwicklung notwendig wären. Dieses Manko bestätigte die Regierung im vergangenen Jahr. Sie hielt fest, dass die Datenlage zur Analyse und Bewertung der Preisdynamik auf dem Boden- und Immobilienmarkt verbessert werden müsse. Wir können also hoffen, dass sich diesbezüglich etwas tut.

Entwicklung der Haushaltsgrössen
Die Nachfrage nach Wohnraum wird durch die Bevölkerungsentwicklung und die Haushaltsgrösse bestimmt. Je kleiner die durchschnittliche Haushaltsgrösse, desto mehr Wohnungen werden für die gleiche Anzahl von Personen benötigt. Betrachten wir den Zeitraum von 1980 bis 2020: In diesen 40 Jahren ist die Bevölkerungszahl um durchschnittlich 1,1 Prozent pro Jahr gestiegen. Gleichzeitig stieg die Anzahl der Haushalte um jährlich 1,8 Prozent an. Als logische Konsequenz ist die Belegungsdichte – also die durchschnittliche Anzahl Personen pro Haushalt – von 3,0 auf 2,2 gesunken. Sehr deutlich wird dies, wenn man die Entwicklung der Haushaltsgrösse betrachtet. Die 1- und 2-Personen-Haushalte haben seit 1980 stark zugelegt. Bei den grösseren Haushalten hat sich die Entwicklung hingegen stark abgeflacht bzw. ist rückläufig.

Angebotsüberschuss auf dem Wohnungsmarkt?
Ende 2021 standen vier Prozent der Wohnungen leer. Vergleicht man jedoch den Leerstand mit der Nachfrage durch neue Haushalte, zeigt sich im Zeitraum 2014 bis 2021 ein durchschnittlicher Überschuss von rund 340 Wohnungen. Ob eine Wohnung leer bleibt oder nicht, hängt aber auch stark von deren Baujahr ab. Die höchste Leerstandsquote mit fast 7 Prozent weisen Wohneinheiten aus den 1960er-Jahren auf. Allerdings gibt es «den» Wohnungsmarkt nicht. Pauschale Aussagen zum Wohnungsmarkt sind schwierig zu treffen, denn jede Wohnung unterscheidet sich von anderen, zum Beispiel nach Lage, Ausbaustandard oder Alter. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass in einzelnen Teilmärkten kein Angebots-, sondern ein Nachfrageüberschuss herrscht, beispielsweise im Markt für neue 3,5-Zimmer-Wohnungen.

Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum
Ist Wohnen in Liechtenstein erschwinglich oder nicht? Diese Frage ist gesellschaftspolitisch sehr relevant, kann aber nicht abschliessend beantwortet werden, da auch diesbezüglich derzeit noch wichtige Daten fehlen. Wesentlich wären Angaben zu den Haushaltseinkommen. Diese dürften in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen und hoffentlich dazu beitragen, dass solche und ähnliche sozialpolitische Fragen gezielter diskutiert werden können, als dies heute der Fall ist.

Die durchschnittliche Bruttomiete für eine 2-Zimmer-Wohnung stieg von 2010 bis 2020 um 6 Prozent auf rund 1200 Franken an, für eine 4-Zimmer-Wohnung mussten fast 2000 Franken oder 7 Prozent mehr bezahlt werden. Allerdings ist der Unterschied zwischen neueren und älteren Wohnungen beträchtlich. Im Durchschnitt müssen Mieterinnen und Mieter für eine Wohnung mit Jahrgang 2016 bis 2020 einen um 25 Prozent höheren Preis zahlen als für Wohnungen aus den 1990er-Jahren.

Als Faustregel für die Tragbarkeit von Mieten werden oft 30 Prozent des Haushaltseinkommens genannt. Ob eine Wohnung bezahlbar ist, hängt aber von verschiedenen weiteren Faktoren ab, insbesondere von der Haushaltsgrösse. Die vorhandenen Daten – es handelt sich dabei um den steuerbaren Bruttoerwerb der Haushalte – lassen keine abschliessende Gesamtbetrachtung zu, weil vor allem Transferleistungen des Staates (Prämienverbilligungen, Ergänzungsleistungen, Hilflosenentschädigungen etc.) und Vermögenserträge nicht berücksichtigt werden. Auf den steuerlichen Erwerb abgestützt zeigt der Vergleich dennoch, dass in der aktuellen Situation die Mietaufwendungen für den Grossteil der Haushalte tragbar sein dürften. Ein starkes Indiz dafür ist auch, dass die Mietbeiträge des Staates für Familien mit tiefem Einkommen von 2010 bis 2021 um 19 Prozent gesunken sind. Vier von fünf an einer Umfrage von Zukunft.li beteiligten Immobilienunternehmen sind der Meinung, dass aktuell ausreichend bezahlbarer Wohnraum auch für Haushalte mit geringem Budget vorhanden ist. Allerdings gestaltet sich die Wohnungssuche für einzelne Personengruppen schwieriger, z. B. für Drittausländer, Sozialhilfeempfänger und seit der Pandemie zunehmend auch für Mieter mit Haustieren.

Auch eine Frage des Anspruchs
Die Wohnungsgrösse und der Ausbaustandard sind entscheidende Komponenten für die Miethöhe. Ein Vergleich mit den Nachbarkantonen St. Gallen und Graubünden zeigt, dass die durchschnittlichen Mieten dort um über 20 Prozent tiefer liegen. In Liechtenstein wird aber auch deutlich mehr Wohnfläche pro Kopf beansprucht. Seit 2000 ist sie um 12 Prozent auf 55 Quadratmeter gestiegen, in St. Gallen und Graubünden liegt der Wert mit rund 48 Quadratmetern deutlich tiefer.

Ausblick – droht Liechtenstein eine Wohnungsnot?
Ob der zukünftige Zuwachs an Haushalten durch Leerstandsabbau und zusätzliche Bautätigkeit gedeckt werden kann, lässt sich kaum abschätzen. Ein deutlicher Rückgang der Bautätigkeit, wie er in der Schweiz beobachtet wird, ist in Liechtenstein nicht auszumachen. Welche Gründe für die unterschiedlichen Entwicklungen ausschlaggebend sind, müsste allerdings vertiefter untersucht werden. Liechtenstein kennt ein liberales Mietrecht und unterstützt Familien mit tiefen Einkommen mit Mietbeiträgen. Insgesamt hat Liechtenstein mit dieser bedarfsorientierten Politik einen effektiven und effizienten Weg eingeschlagen. Anhaltend steigende Bodenpreise und Baukosten können Investitionen in Wohnimmobilien allerdings bremsen und die Situation rasch verändern. Bei einer Angebotsverknappung wird die Frage nach bezahlbarem Wohnraum gesellschaftlich relevant und kann adäquate sozialpolitische Massnahmen rechtfertigen. Beispiele im Ausland zeigen aber ebenfalls, dass mit staatlichen Eingriffen in den Wohnungs- und Immobilienmarkt auch das Risiko von Staatsversagen verbunden ist. Gehen Massnahmen zu weit, setzen sie die Marktsignale ausser Kraft und führen zu unerwünschten Ergebnissen.

Damit sind wir wieder bei der bereits erwähnten Datenlage. Ohne aussagekräftige und aktuelle Informationen über den Boden- und Immobilienmarkt können Entwicklungen nur sehr eingeschränkt beobachtet, geschweige richtungsweisende Entscheidungen getroffen werden.

Die Abbildung zeigt die durchschnittliche Wohnfläche pro Person im Jahr 2020 und die Entwicklung in Liechtenstein, St. Gallen und Graubünden seit 1980. Quellen: Amt für Statistik, Bundesamt für Statistik