Wie entwickelt sich die liechtensteinische Wirtschaft langfristig? Wo liegen Chancen und wo Herausforderungen? Antworten auf diese Fragen gibt der Wachstumsmonitor des Liechtenstein-Instituts, der das langfristige Wirtschaftswachstum des Landes aus verschiedenen Blickwinkeln untersucht. Vor Kurzem erschien die dritte Ausgabe.
Was ist Wirtschaftswachstum und wie kann es gemessen werden?
Als Wirtschaftswachstum wird der Prozess verstanden, mit dem sich der materielle Wohlstand und damit indirekt auch die wahrgenommene Wohlfahrt eines Landes über die Zeit vermehren. Aus dieser Sicht ist Wirtschaftswachstum ein mehrdimensionales Phänomen. Um es umfassend bewerten und quantifizieren zu können, müssen neben klassischen volkswirtschaftlichen Kennzahlen wie dem Bruttoinlandsprodukt auch langfristige Determinanten für das Wachstum evaluiert werden. Dazu gehören zum Beispiel das individuelle Wohlbefinden oder der Umgang mit natürlichen Ressourcen.
Die im Wachstumsmonitor des Liechtenstein-Instituts erfassten Indikatoren lassen sich in sechs Dimensionen einteilen: das tatsächlich gemessene, aggregierte volkswirtschaftliche Wachstum, externe Wachstumseinflüsse («makroökonomisches Umfeld») und die Produktionsfaktoren «Arbeitsmarkt», «Bildung/Innovation», «Ressourcen/Nachhaltigkeit» sowie «Investitionen/Infrastruktur». Für jede Dimension werden verschiedene Datenreihen untersucht und in Hinblick auf die aktuelle Situation sowie die Tendenz beurteilt. Auf dieser Grundlage können die einzelnen Dimensionen und das Wirtschaftswachstum in Liechtenstein insgesamt systematisch bewertet werden. Eine Reihe von Herausforderungen und Wachstumsrisiken lassen sich insbesondere in den Dimensionen «makroökonomisches Umfeld», «Ressourcen/Nachhaltigkeit» und «Investitionen/Infrastruktur» identifizieren, die in der Abbildung leicht negativ (hellrot) bis neutral (gelb) dargestellt werden.
Wie setzt sich das Wirtschaftswachstum zusammen?
Bewertung des liechtensteinischen Wirtschaftswachstums
Die klassischen aggregierten Wirtschaftsgrössen wie beispielsweise das Bruttoinlandsprodukt (siehe Box) oder die Beschäftigungsentwicklung, aber auch teilaggregierte Kennzahlen wie die sektorale Wertschöpfung weisen in den meisten Bereichen eine positive Wachstumsentwicklung auf. Das Wohlstandsniveau ist in Liechtenstein sehr hoch und bei vielen Indikatoren – beispielsweise beim Bruttonationaleinkommen pro Kopf – im weltweiten Spitzenfeld.
Nach starken Wachstumsjahren Mitte der 2010er-Jahre ging das aggregierte Wirtschaftswachstum zwar in den letzten Jahren etwas zurück, die Wachstumsentwicklung in Liechtenstein ist aber insgesamt als positiv zu bewerten. Im Lichte der gegenwärtigen makroökonomischen, sicherheitspolitischen und ökologischen Herausforderungen werden die Spannungsfelder für das heimische Wirtschaftswachstum jedoch sichtbarer und drängender.
Das makroökonomische Umfeld birgt gegenwärtig viele Herausforderungen für das langfristige Wirtschaftswachstum in Liechtenstein. Betrachtet man längerfristige weltweite Trends, kann insgesamt eine markante Abflachung des globalen Wirtschaftswachstums beobachtet werden, was auch für Liechtenstein in Form einer schwächelnden internationalen Nachfrage Konsequenzen hat. Einerseits geht das mit einer gewissen globalen Angleichung einher, da die Schwellenländer mittlerweile stark aufgeholt haben und somit wieder weniger dynamisch wachsen. Zusätzlich spielen dabei globale demografische Trends wie die Überalterung der Gesellschaft eine Rolle. Dazu kommen die geopolitische Sicherheitslage, die sich daraus ergebenden Implikationen für die europäische Energieversorgung sowie die rasanten Preisanstiege der letzten Monate, welche weitere makroökonomische Herausforderungen mit sich bringen. Obwohl die konkreten Auswirkungen dieser Aspekte für das langfristige liechtensteinische Wirtschaftswachstum gegenwärtig quantitativ noch nicht genau abschätzbar sind, gehen davon grosse Risiken aus. Die durch Preisanstiege notwendige Anhebung der Zinsen könnte beispielsweise die Zahlungsfähigkeit von liechtensteinischen Haushalten belasten, die im internationalen Vergleich zudem hoch verschuldet sind.
Neben den herausfordernden makroökonomischen Entwicklungen bestehen auch Risiken in Hinblick auf die Nachhaltigkeit und die ökologische Tragfähigkeit des Wirtschaftswachstums. Einerseits werden die Auswirkungen des Klimawandels immer sichtbarer. Andererseits ist eine klare Abkehr von der immer noch sehr ressourcenintensiven Wirtschaftsaktivität in vielen Bereichen noch nicht erkennbar, obwohl diese Trendumkehr für die Erreichung der deklarierten Emissions- und Klimaziele notwendig wäre. Das hohe Wohlstandsniveau in Liechtenstein geht nach wie vor mit erheblichen Kosten für die Umwelt und Risiken für die langfristige Tragfähigkeit einher. Ein Ausdruck dafür ist der Umgang mit den räumlichen und natürlichen Ressourcen, welche im Kleinstaat Liechtenstein noch begrenzter als andernorts sind. Es werden also weiterhin zu viele Treibhausgase emittiert, es wird zu wenig in ökologischen Ausgleich investiert, zu stark auf motorisierten Individualverkehr gesetzt, zu viel Fläche versiegelt und zu ressourcenintensiv konsumiert, um dem Klimawandel wirksam zu begegnen und die Vitalität des Lebensraums für nachkommende Generationen zu gewährleisten. Zwar wird der technologische Fortschritt einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der drängenden ökologischen Herausforderungen leisten, ohne Verhaltensanpassungen bei Konsum und Produktion können die Emissions- und Klimaziele allerdings nicht erreicht werden. Dafür sind sowohl effizienter Ressourceneinsatz als auch individuelle Zurückhaltung zur Schonung natürlicher Ressourcen notwendig.
Innovationspotential als Chance für liechtensteinisches Wirtschaftswachstum
Die grundsätzlich positive Bewertung des liechtensteinischen Wirtschaftswachstums muss also unter Berücksichtigung zahlreicher Einschränkungen gesehen werden. Wachstumsrisiken stellen aber nicht nur Herausforderungen dar, sie bieten auch Chancen für Innovationen. Und hinsichtlich Innovationspotential ist Liechtensteins Wirtschaft gut aufgestellt: Die liechtensteinische Volkswirtschaft ist eine der innovativsten der Welt. In keinem anderen Land werden mehr Patente pro Kopf angemeldet und nirgends geben die Unternehmen so viel für Forschung und Entwicklung aus.
Bewertung des Wachstums des liechtensteinischen BIP
Reiche Gesellschaften tragen überproportional zum Klimawandel bei. Laut dem World Inequality Lab hatten die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung 2021 einen Einkommensanteil von 52 Prozent und einen Vermögensanteil von 76 Prozent. Gleichzeitig hatten diese reichsten 10 Prozent im Jahr 2019 einen Anteil von 48 Prozent am weltweiten CO2-Ausstoss und verursachten damit pro Kopf etwa fünfmal so viel CO2 wie der Weltdurchschnitt.