Nicht wenige Persönlichkeiten, die heute im kollektiven Gedächtnis verankert sind, waren von ihrer Ausbildung her ursprünglich Juristen – doch wir erinnern uns heute in ganz anderer Hinsicht an sie. Das mag bei Politikern wie Abraham Lincoln, Mahatma Gandhi oder Nelson Mandela noch weniger verwundern, da sich Staat und Recht seit jeher nahestehen. Bei den Dichtern erstaunt es schon eher, dass etliche unter ihnen ein juristisches Studium absolviert haben oder zumindest damit in Berührung gekommen sind. Um nur einige berühmte Beispiele zu nennen: Balzac, Flaubert, Goethe, Handke, Heine, Kafka, Ovid, Proust, Rilke, Schlink, Scott, Storm, Tolstoi. Drei weniger bekannte Beispiele aus ganz anderen Fachgebieten sollen hier kurz vorgestellt werden (leider – infolge der historischen Umstände – vorliegend einmal ganz abgesehen von den Juristinnen):
Abenteurer … und ursprünglich Jurist: Der Basler Johann Ludwig Burckhardt (1784–1817). Nachdem er sich nach Studienabschluss längere Zeit vergeblich um einen Posten im diplomatischen Dienst bemüht hatte, bereiste im Auftrag der African Association, verkleidet als muslimischer Händler und unter dem Decknamen Scheich Ibrahim, den Orient. Er wurde auf seinen Reisen unter anderem zum Wiederentdecker der Felsenstadt Petra im heutigen Jordanien und des grossen Tempels von Abu Simbel in Ägypten.
Soziologiepionier … und ursprünglich Jurist: Eigentlich hätte Max Weber (1864–1920) in die akademischen Fusstapfen seines Lehrers Theodor Mommsen (Altertumsforscher, Literaturnobelpreisträger – und übrigens auch er ursprünglich Jurist) treten sollen. Stattdessen verlegte er sich auf die damals noch jungen Sozialwissenschaften und avancierte dort mit seinem Hauptwerk «Wirtschaft und Gesellschaft» aus heutiger Sicht zum Klassiker, indem er zum Beispiel wegweisend die Formen von Herrschaft und Macht analysierte oder Begrifflichkeiten wie den heute standardsprachlich gebräuchlichen «Idealtypus» prägte.
Friedenspapst … und ursprünglich Jurist: Papst Benedikt XV. (1854–1922) tat sich während seines Pontifikats von 1914 bis 1922 vor allem durch seine vehementen Stellungnahmen gegen das Blutvergiessen im Ersten Weltkrieg hervor. Dass er, nach langen Vorarbeiten, mit dem Codex Iuris Canonici von 1917 erstmals ein offizielles, systematisches, modernes Gesetzbuch für die lateinische katholische Kirche erlassen konnte, nachdem bis dahin noch behelfsweise mittelalterliche Zusammenstellungen als Rechtsgrundlagen gegolten hatten, gerät darüber oft in Vergessenheit.
Worin könnte das Phänomen «… und ursprünglich Jurist» begründet liegen? Vielleicht ist es nur reine Wahrscheinlichkeitsrechnung, da in der im Mittelalter grundgelegten Dreiteilung der höheren Studien an Universitätsfakultäten in Theologie, Medizin und Jurisprudenz zwangsläufig auch die Letztere mit der Zeit einmal berühmte Persönlichkeiten hervorbringen musste, auf welchen Gebieten auch immer. Vielleicht aber eignet sich die Juristerei sowohl als Wissenschaft als auch als Handwerk besonders dazu, um die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens besser zu verstehen, den Umgang mit Sprache zu schulen, analytisches Denken zu entwickeln, die Problemlösungsfähigkeit zu fördern und sich – in grösseren Zusammenhängen – von einem fixen Standpunkt aus in der Welt zurechtzufinden. Das alles lässt sich, einmal verinnerlicht, auch auf etliche andere Gebiete übertragen und dort mit Gewinn nutzen. So vermag unter glücklichen Umständen der juristische Dilettant durch seine Fertigkeiten und mit einer gewissen Portion Narrenfreiheit mitunter auf einem berufsfremden Feld vieles zu leisten, was Egon Friedells (auch ein wenig scherzhaft gemeintes) Diktum bestätigt: «Nur beim Dilettanten decken sich Mensch und Beruf.» Unter den Juristen jedenfalls gibt es hierfür einige sehr interessante Beispiele.