Abgesehen von der derzeitigen Ausnahmesituation rund um das Corona-Virus und seiner Eindämmung ist das Verkehrsproblem gemäss mehreren Umfragen eine der drängendsten Herausforderungen, die Liechtenstein mittelfristig lösen muss. Einen wesentlichen Beitrag dazu soll das Mobilitätskonzept 2030 leisten, das Regierungschef-Stellvertreter Daniel Risch der Öffentlichkeit in Kürze präsentieren will.
«Unsere Generation muss die erforderlichen Infrastrukturen bereitstellen, auf die Liechtenstein, seine Einwohner und die Wirtschaft für eine erfolgreiche Zukunftsgestaltung angewiesen sind», sagt Regierungschef-Stellvertreter und Infrastrukturminister Daniel Risch zu seinen Beweggründen hinter der Ausarbeitung des Mobilitätskonzepts 2030. Auf dem Weg zu diesem Ziel seien viele einzelne Schritte notwendig, deren Gesamtheit schliesslich ein in sich stimmiges Bild ergebe. Das Mobilitätskonzept 2030 setze daher auf viele grössere und kleinere Einzelmassnahmen von der S-Bahn Liechtenstein über den Bau von Radwegen und Entlastungsstrassen bis hin zum Einsatz modernster Technik zur besseren Steuerung und Verteilung der Verkehrsspitzen.
Gleiche Infrastruktur, ein Vielfaches an Fahrzeugen
Das Problem des Liechtensteiner Strassenverkehrs ist bekannt. Morgens und abends staut es sich an den Werktagen von Schaanwald über Nendeln, Eschen und Bendern bis nach Schaan und Vaduz an allen Knotenpunkten. Betroffen sind auch andere Gemeinden und vor allem die Wohnquartiere, die als Schleichwege genutzt werden. Das Problembewusstsein bestand bereits vor 15 Jahren, als die Mobilitätsstrategie 2015 ausgearbeitet worden ist. Diese sorgte aber lediglich für punktuelle Verbesserungen wie einige Busspuren, Busbevorzugungen oder bessere Kreisellösungen.
Das Problembewusstsein hat sich im Laufe der Zeit bei einem jährlichen Wachstum der Fahrzeugzahlen von zwei Prozent noch verstärkt, wie die Mobilitätsbefragung des Ministeriums für Infrastruktur im vergangenen Herbst gezeigt hat. «Sowohl die liechtensteinische Bevölkerung als auch die Pendler sehen in der heutigen Verkehrssituation ein Problem. Entsprechend erkennt eine grosse Mehrheit Handlungsbedarf im Verkehrsbereich», sagt Regierungschef-Stellvertreter Daniel Risch im Rückblick auf die Ergebnisse der Befragung. Dies sei wenig verwunderlich, da sich der Verkehr auf Liechtensteins Strassen auf einer Infrastruktur abspiele, die sich in den vergangenen 50 Jahren kaum verändert habe, während das Land fast doppelt so viele Einwohner und mehr als dreieinhalb Mal so viele Arbeitskräfte hat wie 1970.
Knoten am Anschlag, Verkehr weicht aus
Dies wirkt sich auf einige Strassenabschnitte besonders stark aus. Andere Strassenstücke haben aufgrund des Ausweichverkehrs ausserordentlich hohe Zuwachsraten zu verzeichnen. Den grössten durchschnittlichen Werktagsverkehr wies im vergangenen Jahr die Rheinbrücke Vaduz auf mit fast 21’000 Fahrzeugen. Es folgen der Rheinübergang Bendern mit rund 18’000 Fahrzeugen, die Rüfebrücke zwischen Schaan und Vaduz mit 17’600 Fahrzeugen und die Strecke von Eschen nach Bendern mit fast 17’000 Fahrzeugen. Auch die Rheinbrücke Schaan-Buchs ist mit rund 16’000 Fahrzeugen führend mit dabei. Deutliche fünfstellige Zahlen weist ebenfalls das Schaaner Zentrum an Werktagen auf. Die Kapazitätsgrenzen dieser Knotenpunkte sind damit teilweise erreicht oder sogar überschritten.
Dass dies zu den Spitzenzeiten zu Staus führt, ist unumgänglich. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Autofahrer, vor allem Zu- und Binnenpendler auf früher weniger stark befahrene Strassen ausweichen – gross- wie auch kleinräumig. Die tägliche, morgendliche wie abendliche Stausituation in Bendern führte beispielsweise dazu, dass die Rheinbrücke Ruggell in einem Zeitraum von zehn Jahren einen Zuwachs von fast 1000 Fahrzeugen allein in den Spitzenstunden zu bewältigen hatte. Hohe Zuwachsraten verzeichnen auch der Grenzübergang Ruggell-Nofels, die Landstrasse zwischen Ruggell und Bendern oder die Rheinbrücke Balzers. Der kleinräumige Schleichverkehr betrifft vor allem die Wohnquertiere und dabei insbesondere jene in Schaan, da viele Autofahrer die stark belastete Rheinbrücke in Vaduz meiden und die Autobahn auf der Höhe Buchs verlassen, um über Schaan an ihr Ziel zu gelangen.
«Angesichts dieser Situation ist es unerlässlich, dass die Politik nun handelt. Es geht um nichts weniger als die Lebensqualität und Sicherheit für die Einwohnerinnen und Einwohner, aber auch ganz stark um die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Liechtenstein, für den eine gute Erreichbarkeit der Unternehmen von grosser Bedeutung ist», sagt Regierungschef-Stellvertreter Daniel Risch. «Denn auch wenn wir heute zur Tat schreiten, braucht es Jahre und teilweise Jahrzehnte, bis die aufeinander abgestimmten Massnahmen des Mobilitätskonzepts spürbar greifen und ihre volle Wirkung entfalten können.»
Land der Autofahrer mit Umsteigebereitschaft
Gleichzeitig verweist der Infrastrukturminister nochmals darauf, dass das Problem ein hausgemachtes ist. Über 96 Prozent des Verkehrs auf Liechtensteins Strassen ist entweder Binnenverkehr der Einwohner selbst oder Ziel- bzw. Quellverkehr aufgrund des Arbeitskräftebedarfs der Liechtensteiner Wirtschaft. Ebenfalls betont Daniel Risch, dass Liechtenstein mit dem höchsten Motorisierungsgrad Europas und der teilweise weitverzweigten Siedlungs- und Arbeitsplatzstruktur traditionell ein Land der Autofahrer ist, in dem gemäss der Mobilitätsbefragung aber auch ein grosses Potenzial zum Umstieg auf den öffentlichen Verkehr besteht. Immerhin rund 75 Prozent aller Einwohner und Arbeitspendler hatten sich darin bereiterklärt, vermehrt Bus und Bahn zu nutzen, wenn das Angebot attraktiver ausgestaltet wird. Dies bedeutet einerseits günstige Tarife, andererseits aber auch kurze Reisezeiten und damit verbunden sichere Anschlüsse.
Von Regierung zur Kenntnis genommen, bald im Landtag
Das Ministerium für Infrastruktur, Wirtschaft und Sport und das ihm zugehörige Amt für Bau und Infrastruktur hat sich des Verkehrsproblems bereits vor längerer Zeit angenommen und die Ergebnisse der Mobilitätsbefragung schliesslich in seine Arbeit einfliessen lassen. «Wobei man sagen kann, dass die Resultate der Befragung sich mit den Vorarbeiten der internen Experten weitestgehend decken. Es besteht weitgehend Einigkeit, dass nur ein gut aufeinander abgestimmter Mix aller Verkehrsträger zur Lösung des Problems führen kann. Dennoch haben wir aus der Befragung wertvolle Erkenntnisse gewonnen und gerne den einen oder anderen Punkt durch die Ergebnisse der repräsentativen Umfrage ergänzt oder optimiert», sagt Regierungschef-Stellvertreter Daniel Risch. Der Landtag wird das inzwischen von der Regierung zur Kenntnis genommene Konzept in einer seiner nächsten Sitzungen behandeln können.
«Vom öffentlichen Verkehr profitiert am Ende jeder»
Dass der öffentliche Verkehr das Rückgrat der Liechtensteiner Mobilität sein soll
und viel Potenzial hat, steht für LIEmobil-Geschäftsführer Jürgen Frick ausser Frage. Genauso klar ist für ihn aber auch, dass es den im Mobilitätskonzept 2030 vorgesehenen Massnahmenmix braucht, um den ÖV künftiger attraktiver zu gestalten.
Dass der Verkehr in Liechtenstein zu den Spitzenzeiten an den neuralgischen Punkten zäh fliesst, ist nicht neu. Wie aber wirkt sich dies auf die LIEmobil aus?
Jürgen Frick: Der Verkehr in Liechtenstein nimmt zusehends zu. In den letzten Jahren hat er an verschiedenen Orten ein Mass erreicht, das den öffentlichen Verkehr vor grosse Probleme stellt. Unser ÖV ist eng vernetzt und bedient überall Anschlussknoten – im Land wie auch in der Schweiz und Österreich. Eine Verspätung von mehreren Minuten führt oft dazu, dass Anschlüsse nicht mehr funktionieren. Für die Kunden verlängert sich die gesamte Reisezeit massiv und nicht nur um die verlorene Stau-Zeit. Die Verlustzeiten sind je nach Wochentag, Uhrzeit und Jahreszeit sehr unterschiedlich. Besonders in Eschen, Schaan und Vaduz sind bei starkem Verkehr die Verlustzeiten schnell bei zehn Minuten – wenn eine Linie durch alle diese Orte führt, addiert sich dies auf bis zu einer halben Stunde. Aber nur schon auf der kurzen Verbindung von Buchs nach Schaan können in Extremfällen Verspätungen von einer halben Stunde auftreten – dies sowohl für den Bus als auch für den Individualverkehr.
Darf ich in diesem Fall davon ausgehen, dass Sie es begrüssen, dass die Regierung mit dem Mobilitätskonzept 2030 das Heft des Handelns in die Hand nimmt und was erwarten Sie sich von diesem Konzept?
Der Verkehr hat sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht – nicht aber die Infrastruktur. Hier gab es nur vergleichsweise geringe und punktuelle Anpassungen. Ich schätze es deswegen sehr, dass sich die Regierung diesem wichtigen Thema gesamtheitlich annimmt. Der öffentliche Verkehr kann sehr viel beitragen zur Lösung des Verkehrsproblems. Mit grossen Fahrzeugen, die viele Menschen mit einem optimalen Takt befördern, wird die Infrastruktur bestmöglich genutzt und dadurch gewährleistet, dass Liechtenstein trotz der stetig steigenden Mobilität weiter attraktiv bleibt. Vom Konzept erwarte ich Massnahmen, die dafür sorgen, dass der öffentliche Verkehr gestärkt wird, damit er seiner wichtigen Rolle noch stärker gerecht werden kann.
Die Mobilitätsbefragung des Ministeriums für Infrastruktur hat ergeben, dass rund 75 Prozent der Einwohner und Pendler verstärkt auf den öffentlichen Verkehr umsteigen würden, wenn dieser attraktiver wäre. Was kann die LIEmobil und was kann die Politik dazu beitragen, dass der ÖV tatsächlich attraktiver wird?
Die langfristige Vision ist ein öffentlicher Verkehr, der wie in einer Grossstadt funktioniert. Das heisst, ein sehr dichter Takt auf den vielbefahrenen Korridoren kombiniert mit einer hohen Pünktlichkeit, indem der öffentliche Verkehr möglichst am Individualverkehr vorbeigeschleust wird. Dadurch ist der öffentliche Verkehr schnell und hoch verfügbar. Um dies zu erreichen, müssen wir alle zusammenarbeiten. Von Seiten LIEmobil braucht es ein ausgebautes Liniennetz, von Seiten Politik die passende Infrastruktur und Massnahmen zur Förderung des öffentlichen Verkehrs. Damit sollte einer vermehrten Nutzung des öffentlichen Verkehrs durch die Mehrheit der Einwohner und Pendler nichts mehr im Wege stehen.
Gibt es bereits ein Grobkonzept, wie die LIEmobil zur Attraktivitätssteigerung des Personenverkehrs auf der Schiene beitragen könnte, falls die S-Bahn Liechtenstein realisiert wird?
Ich habe erwähnt, dass der Zeitverlust auf der Strasse von Buchs nach Schaan im Extremfall eine halbe Stunde beträgt. Zum Vergleich: Die S-Bahn bewältigt diese Strecke in drei Minuten. Und dies jeden Tag zu jeder Tageszeit. Was der bestehenden S-Bahn fehlt ist ein durchgehender Takt. Aufgrund des einspurigen Streckenabschnittes ist das Trassee zu wichtigen Zeiten durch andere Züge blockiert. Ebenfalls ist eine einspurige Streckenführung sehr anfällig für Verspätungen. In Nendeln treffen sich immer zwei Züge. Wenn einer verspätet ist, ist es der andere automatisch auch. Dazu kommt, dass im öffentlichen Verkehr ein durchgehender und einfach merkbarer Takt enorm wichtig ist. Mit dem geplanten Ausbau der S-Bahn durch Liechtenstein könnten diese Probleme beseitigt und das volle Potenzial der S-Bahn ausgeschöpft werden. Unsere Nachbarländer haben erfolgreich gezeigt, dass eine getaktete S-Bahn das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs ist und dass damit erhebliche Steigerungen der Fahrgastzahlen möglich sind.
Regierungschef-Stellvertreter Daniel Risch hat angekündigt, dass das Verkehrskonzept auf einen Mix von ÖV, motorisiertem Individualverkehr und Langsamverkehr setzt. Inwiefern könnten die beiden anderen Verkehrsträger von den geschilderten Massnahmen der Kombination aus S-Bahn und LIEmobil profitieren?
Je mehr Menschen mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs sind, desto weniger Verkehr hat es auf der Strasse. Davon profitiert im Endeffekt jeder: der Radfahrer, der Fussgänger und auch der Individualverkehr. Grundsätzlich ergänzen sich der öffentliche und der Langsamverkehr häufig. Man fährt mit dem Rad oder geht zu Fuss zur Bushaltestelle oder zum Bahnhof und fährt mit dem Bus oder Zug weiter. Ein Ausbau beider Verkehrsarten bietet sich damit an. Um den öffentlichen Verkehr schneller zu machen, müssen die Stauschwerpunkte irgendwie eliminiert werden. An einzelnen Orten wird dies nicht ohne neue Trassen möglich sein. Von einem fliessenden Verkehr profitiert auch der Individualverkehr. Es sind verschiedene Massnahmen für verschiedene Verkehrsträger notwendig, dann können wir unser Verkehrsproblem sicherlich in den Griff bekommen.