Bei der letzten AHV-Revision im Jahr 2016 wurde der Staatsbeitrag von 50 Mio. Franken (im Jahr 2015 ) auf 30 Mio. Franken gekürzt, wodurch zwar der Staatshaushalt profitierte, die AHV aber empfindlich geschwächt wurde. Kompensiert wurde dies durch eine Erhöhung des Rentenalters auf 65 Jahre und des Beitragssatzes auf 8.1 %. Damit werden noch 10 % der Ausgaben der AHV durch den Staatsbeitrag gedeckt. Im Gegensatz dazu hat die Schweiz den Anteil der öffentlichen Hand an den AHV-Leistungen per 1.1.2020 weiter erhöht und bei 20.2 % festgelegt.
So verwundert es nicht, dass das neueste versicherungstechnische Gutachten zum Schluss kommt, dass im Jahr 2038 die gesetzlich festgelegte Höhe der AHV von 5 Jahresausgaben knapp verfehlt wird und noch 4.26 Jahresausgaben prognostiziert werden. Das Gutachten berechnet nun – unter Anwendung stark vereinfachter Annahmen für die künftige Entwicklung verschiedener Parameter – die Auswirkung von drei möglichen Massnahmen auf die Höhe der AHV-Reserven: Erhöhung des Staatsbeitrages, des Beitragssatzes und des Rentenalters.
Mit einer Erhöhung des Rentenalters auf 66 Jahre könnten laut dieser Prognose im Jahr 2038 die gesetzlich geforderten 5 Jahresausgaben exakt erreicht werden – rein rechnerisch! Ob die AHV real zu den Mehreinnahmen kommt, hängt davon ab, ob die Arbeitnehmer auch tatsächlich in der Wirtschaft noch Beschäftigung finden und Lohnbeiträge an die AHV abliefern können. Wenn nicht, werden zwar die Rentenauszahlungen um ein weiteres Jahr hinausgeschoben, dafür aber eventuell andere Sozialwerke wie IV oder Sozialhilfe belastet.
Als Argument für eine Erhöhung des Rentenalters wird seit Jahren gebetsmühlenartig die steigende Lebenserwartung ins Feld geführt. Dabei wird jedoch übersehen, dass die (Rest)-Lebenserwartung (gemäss Bevölkerungsstatistik 2018) ab 65 Jahren weit weniger stark zugenommen hat als die Lebenserwartung ab Geburt: von 1997 bis 2017 stieg letztere (für Männer) um 9.7 Jahre, ab 65 um 5.9 Jahre. Das neu vorliegende Gutachten geht davon aus, dass die Lebenserwartung ab 65 Jahren in den kommenden 20 Jahren zwar weiter zunehmen wird, mit 2.7 Jahren aber deutlich weniger stark als in den 20 Jahren davor. Der Zenit der Zuwachs-Raten ist also bereits überschritten.
Ein Vergleich der Lebenserwartung mit den tatsächlich bezahlten Rentenjahren in der Schweiz zeigt, dass diese 2010 bei 17.3 Jahren (Männer), im 2017 bei 17.6 Jahren lagen, also fast gleich blieb.
Die steigende Lebenserwartung dürfte die künftigen Rentenleistungen der AHV weit weniger beeinflussen als angenommen. Auch die steigende Zahl der Rentner infolge der geburtenstarken Jahrgänge ist als Einflussfaktor zu relativieren, da dieser Rentenübertritt gerade im Gange ist und laut den Bevölkerungsszenarien 2015-2050 um 2036 die Zunahme der Zahl der über 65-Jährigen stark gebremst ist.
Bei dieser rein auf die Erhaltung der AHV-Reserven fokussierten Betrachtungsweise geht verloren, dass mit jeder weiteren Erhöhung des Rentenalters die unbezahlt übernommenen Leistungen der über 65-Jährigen in der Betreuung der Enkelkinder (wodurch beide Elternteile berufstätig sein und Steuer- und Sozialabgaben zahlen können) und der Betreuung der eigenen hochbetagten Eltern stark eingeschränkt werden und von anderen Stellen, wenn nicht sogar vom Staat, übernommen werden müssen.
Der Seniorenbund spricht sich daher gegen eine weitere Erhöhung des Rentenalters aus.