Die aktuell laufende Junioren-WM in Lenzerheide bietet den Schweizer Biathleten die ideale Plattform, um ihr Profil weiter zu schärfen. Die WM soll ein weiterer Schritt auf dem Weg zu höheren Aufgaben sein – sportlich und organisatorisch.
Selina Gasparin musste lachen, als sie Ende Dezember auf frühere Zeiten ihrer Karriere zurückblickte. „Zunächst war ich alleine auf weiter Flur“, erzählte die 35-jährige Engadinerin. „Dann kriegten wir eine Staffel zusammen, kämpften aber jeweils gegen die Überrundung.“ Die Schweiz war in ihrer Geschichte nie eine Biathlon-Nation. Tempi passati.
In diesem Winter lief die Schweizer Frauenstaffel im Weltcup in vier Wettkämpfen dreimal aufs Podest, dazu auch noch Lena Häcki einmal alleine. Es sind erste Früchte der grossen Investitionen in Infrastruktur und Trainer, die Swiss-Ski und private Geldgeber in den letzten Jahren getätigt haben. Sie lassen hoffen, dass die Schweiz tatsächlich noch zur Biathlon-Nation werden könnte. Denn der Nachwuchs macht sich kräftig bemerkbar. Letztes Jahr feierten Niklas Hartweg und Amy Baserga in der Jugend-Kategorie WM-Titel, nun zelebrieren sie mit der Junioren-WM auf heimischem Boden ein Biathlon-Fest.
Dank privatem Investor
Es ist der erste internationale Test für die neue Arena, die in Lantsch/Lenz bei Lenzerheide aus dem Boden gestampft wurde. 2013 fand hier erstmals der Auftakt zur Tour de Ski der Langläufer statt, so richtig investiert wurde aber ab 2016. Innert weniger Monate wurde das Nordic House gebaut mit Schlafräumen, Bistro, Sportgeschäft, Fitnessraum und vielem mehr. Dazu kamen ein Schiessstand mit 30 Plätzen und die Snow Farm, die schon früh im Spätsommer Trainings auf Schnee ermöglicht.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern werden solche Investitionen in der Schweiz kaum je von der öffentlichen Hand finanziert, und auch die Möglichkeiten von Swiss-Ski hätten die über 20 Millionen Franken bei Weitem überstiegen. Da kam ein Glücksfall namens Michael Hartweg zuhilfe. Der gebürtige Schwarzwälder und Vater des 19-jährigen Nachwuchs-Biathleten Niklas, der mittlerweile neben Wollerau auch in Valbella einen Wohnsitz hat, war durch die Entwicklung von IT-Lösungen für Finanzunternehmen zum Multimillionär geworden und investierte im grossen Stil in die Biathlon-Arena. Er ist der Überzeugung, dass die Schweiz mit ihrer Schiess- und Langlauf-Tradition durchaus ein Biathlon-Land ist. „Sie weiss es nur noch nicht“, meinte er gegenüber Medienvertretern schmunzelnd.
Aber auch Swiss-Ski, bei dem Biathlon lange Zeit eher stiefmütterlich behandelt wurde, hat die Zeichen der Zeit erkannt. Im letzten Sommer wurde der ehemalige Langlauf-Profi Gian-Andrea Bundi zum Nachwuchschef ernannt – und der Bündner treibt die Professionalisierung weiter voran. Entscheidend ist für ihn, dass sich auch die Nachwuchsleute zu hundert Prozent auf ihren Sport konzentrieren und ihren Wohnort nach Lenzerheide (oder den zweiten Stützpunkt in Realp im Kanton Uri) verlegen. Die Zeiten, als jeder für sich zuhause auf selber gebastelte Holzscheiben schoss, seien definitiv vorbei.
Weltcup-Anlässe in die Schweiz holen
Erst recht, seit in Lantsch/Lenz eine derart gute Anlage zur Verfügung steht. Die aktuelle Junioren-WM soll dabei ebenfalls nur ein Anfang sein. Swiss-Ski kämpft darum, möglichst bald Weltcup-Wettkämpfe zugesprochen zu erhalten. Im Herbst entscheidet der Internationale Biathlon-Verband (IBU) über die Weltcup-Veranstalter im nächsten Olympia-Zyklus 2022 bis 2026. Die Konkurrenz ist gross, denn Biathlon ist mit seiner hohen TV-Präsenz hoch begehrt, die Hoffnungen sind es aber ebenso. Auch das Schweizer Fernsehen bietet am kommenden Wochenende erstmals einen kommentierten Live-Stream von der Junioren-WM.
Diese gibt eine hervorragende Visitenkarte für höhere Aufgaben ab. Die Stimmung war an den ersten beiden Wettkampftagen hervorragend, mit drei Medaillen gelang auch der Auftakt nach Wunsch. Die Einsiedlerin Amy Baserga gewann beim ersten Start in der höheren Kategorie gegen zumeist ein bis zwei Jahre ältere Gegnerinnen die Bronzemedaille und schwärmte: „Das ist wirklich genial. Schon beim Start spürten wir die Nervosität und die Erwartungen der Fans. Das ist mega cool, so etwas habe ich noch nie erlebt.“
Für Selina Gasparin, die ebenfalls vom Engadin nach Lantsch/Lenz gezogen ist, dürfte es angesichts ihres Alters mit einem Heim-Weltcup knapp werden. Amy Baserga darf sich aber berechtigte Hoffnung machen – in der aufstrebenden Biathlon-Nation Schweiz.