Brexit oder das Vertrauen in die Politik

Dr. Christian Frommelt Direktor und Forschungsbeauftragter Politik am Liechtenstein-Institut

Nun ist es also so weit. Drei Jahre nachdem das Vereinigte Königreich für den Austritt aus der Europäischen Union (EU) gestimmt hatte, übernahm mit Boris Johnson ein Vertreter der «Leave»-Kampagne das Amt des Premierministers. Sogleich stellt sich die Frage, ob es Johnson gelingen wird, den bereits mehrfach verschobenen Brexit umzusetzen. Wie so oft im Zusammenhang mit dem Brexit lässt sich darauf keine klare Antwort geben.

Der Brexit war von Anfang an ein Lieblingsthema der Meinungsforschung. Die ersten Umfragen dazu erfolgten bereits 2012 – also vier Jahre vor der eigentlichen Abstimmung. Damals hatten die Brexit-Befürworter einen Vorsprung von mehr als 10 Prozent. Unmittelbar vor der Abstimmung deuteten die meisten Umfragen demgegenüber auf einen knappen Sieg der Austrittsgegner hin. In der Abstimmung selbst stimmten dann aber 52 Prozent für und 48 gegen einen Austritt. 

Blickt man auf aktuelle Umfragen, so wünscht sich eine Mehrheit den Verbleib in der EU. Dies ist vor allem den Nicht-Wählern von 2016 zu verdanken. Tatsächlich würden nämlich nur sehr wenige Personen heute anders stimmen als 2016, und der Ausgang einer allfälligen zweiten Abstimmung wäre derzeit völlig offen. 

Brexit hat Volk tief gespalten
Beim Brexit ist die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs also weiterhin tief gespalten. Einig ist sie sich jedoch in der Kritik an der Brexit-Politik der ehemaligen Premierministerin Theresa May. Fast 90 Prozent bewerteten diese im Juni 2019 als schlecht. Auch Boris Johnson geniesst bei seinem Amtsantritt wenig Sympathien. Nur gerade 29 Prozent der Bevölkerung halten ihn für kompetent und lediglich 20 Prozent für ehrlich. 

Auch im Parlament hat Johnson wenig Unterstützung. Dies gilt insbesondere für seine Pläne, notfalls ohne Abkommen aus der EU auszutreten. Paradoxerweise finden gerade diese Pläne in der Bevölkerung Unterstützung. So erachtet es die grosse Mehrheit der Brexit-Befürworter für richtig, dass das Vereinigte Königreich am 31. Oktober 2019 ohne Abkommen aus der EU austritt, wenn bis dann keine Einigung erfolgt. Eine weitere Verschiebung des Brexits erfolgt deshalb wohl nur im Falle von Neuwahlen oder einer zweiten Abstimmung. 

Austritt ohne Abkommen mit wirtschaftlichen Folgen
Der Wunsch nach einem raschen Brexit ist besonders stark bei Personen mit tiefem Einkommen. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass die alltäglichen Probleme der Menschen wieder in den Fokus der Politik rücken. Dieser Wunsch ist verständlich, basiert jedoch auf einem Trugschluss: Gerade bei einem Austritt ohne Abkommen wird der Brexit die Politik weiterhin stark beschäftigen. Zu gross ist die wirtschaftliche und politische Verflechtung des Vereinigten Königreichs mit der EU, als dass auf Dauer ein vertragsloser Zustand bestehen kann. 

So oder so wird der Brexit tiefe Risse hinterlassen. Im Kampf um Aufmerksamkeit bedienen sich sowohl Befürworter als auch Gegner der immer gleichen, bis zur Unwahrheit simplifizierten Argumente. Unabhängige Informationsangebote werden demgegenüber kaum bzw. stets von der gleichen Klientel genutzt. Entsprechend liegt das Wissen über die EU im Vereinigten Königreich immer noch unter dem EU-Durchschnitt. 

Vor allem aber nimmt durch die starke Polarisierung das Vertrauen in die Politik weiter ab. Während May noch versucht hat, die Bevölkerung hinter dem Brexit zu vereinen, scheint Johnson sich nur mehr für die Brexit-Befürworter zu interessieren. Kurzfristig mag ihm dies die Macht sichern, das Ansehen der Politik wird aber dauerhaft darunter leiden. 

Der Brexit und Liechtenstein
Auch in Liechtenstein zeigt sich in Umfragen und vor allem in Leserbriefen eine wachsende Unzufriedenheit mit der Politik. Angesichts der konstruktiven Zusammenarbeit der politischen Akteure ist diese kaum nur auf Vorgänge in Liechtenstein zurückzuführen, sondern auch einem durch internationale Entwicklungen wie den Brexit geprägten Zeitgeist geschuldet. Die politische Kultur in Liechtenstein im Sinne der verschiedenen Orientierungen der Bevölkerung gegenüber dem politischen System sollte deshalb nicht isoliert vom internationalen Politikgeschehen betrachtet werden.