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Blütenweisses Wasserballett

Als grauer Daunenknäuel kommt der Höckerschwan zur Welt. Weiss und elegant ziert er später unsere Gewässer. Über das wundersame Leben des grössten und schwersten heimischen Schwimmvogels.

Hans Christian Andersen inspirierte er zu einem seiner Märchen. Rainer Maria Rilke schrieb ein Gedicht über ihn. Und Peter Iljitsch Tschaikowsky setzte ihm musikalisch im Ballett Schwanensee ein Denkmal. Kein Wunder, wenn man im Frühjahr schon einmal ein anmutiges Schwanenpaar im zarten Liebestaumel mit ihren langen, formschön geschwungenen Hälsen beobachtet hat.

Anfang Mai ist dann das Ergebnis der Flitterwochen zu bestaunen: Klein und grau kämpfen sich die Küken durch die hellen, olivfarbenen Eierschalen und liegen erschöpft im Nest. Während Vater Schwan den noch wackeligen Erstgeborenen bereits Schwimmunterricht erteilt, brütet die Mutter geduldig die Nachzügler aus. Mehrere Tage können vergehen, ehe sich auch das letzte Vogelkind aus dem Ei bequemt.

Die folgenden Tage und Wochen gehören für die flauschigen Piepmatze zur gefährlichsten Zeit ihres Leben. Trotz äusserst wehrhafter Eltern lauern Greifvögel und Möwen aus der Luft und aus der Tiefe des Wassers schnappt so mancher Hecht oder Wels zu. Erwachsene Höckerschwäne scheuen in dieser Zeit auch nicht davor zurück, Menschen mutig mit Fauchen oder sogar Flügelschlägen zu vertreiben, wenn diese der eigenen Brut zu nahe kommen.

Die geringe Menschenscheu des bis zu 12 Kilo schweren Schwimmvogels erklärt sich wohl auch aus seiner Geschichte. Ursprünglich nur in Europa im Norden, Osten und auch Süden als Wildvogel beheimatet, hielt der Höckerschwan in Mitteleuropa erst ab dem 16. Jahrhundert zunächst als Ziervogel in herrschaftlichen, wasserreichen Parkanlagen Einzug. Nach und nach verwilderten Höckerschwäne in unseren Breiten und wurden so auch an grösseren Seen heimisch.

Zum Leben braucht der langhalsige Vogel vor allem flaches, ruhiges Wasser, in dem er nach Grünzeug «gründeln» kann. Dann streckt der Höckerschwan sein Hinterteil in die Höhe und taucht mit dem Kopf bis zu eineinhalb Meter tief, um Pflanzen vom Grund zu rupfen. Kleinere Muscheln, Schnecken oder Asseln, die sich in den Wasserpflanzen finden, werden dabei auch nicht verschmäht.

Ist das Nahrungsangebot im Wasser dürftig, scheut der Schwan auch keine Landausflüge. Gerade in der kalten Jahreszeit sieht man Höckerschwäne dann als weisse Punkte auf den Wiesen und Feldern nach Fressbarem picken. Diese friedlichen Mahlzeiten auf engem Raum sind umso erstaunlicher, wenn man weiss, wie streitbar Brutpaare im Frühjahr miteinander umgehen. Als Familie verbringt man den ersten Winter noch zusammen, ab Februar machen sich die Jungschwäne dann selbstständig. Das graue Gefieder ist spätestens ab dem Frühjahr einem blütenweiss strahlenden Prachtkleid gewichen.

Sanft über das Wasser gleitend ist der Höckerschwan eine echte Augenweide. Ein etwas anderes Bild bietet der schwere Vogel beim Fliegen. Während der Schwan zur Landung wie ein Wasserflugzeug mit den Schwimmflossen aufsetzt und mit einer Flügelspannweite von fast 2,5 Metern bremst, tut er sich beim Starten erheblich schwerer. Er benötigt nicht selten 100 Meter, bis er sich mit unzähligen Watschelschritten auf dem Wasser endlich in die Lüfte erheben kann. Und auch dort sieht – und hört – man dem weissen Vogel die Anstrengung förmlich an: Mit durch den Luftzug singenden Schwungfedern gleitet er oft nur wenige Meter über Wasser oder Boden, eher er nach kurzer Flugstrecke wieder zur Landung ansetzt.

Dennoch sind Schwäne nicht unbedingt flugfaul. Während viele Tiere das ganze Jahr über am gleichen Ort bleiben, gibt es auch Zugvögel unter ihnen, die vor dem Winter in mildere Regionen ausweichen. Dann sieht man mitunter auch mehrere Schwäne gemeinsam in gänseähnlicher V-Formation die Reise antreten. Flugdistanzen von bis zu 1000 Kilometer sind durch beringte Tiere bereits nachgewiesen worden.

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