Die Spanische Grippe forderte fast 100 Millionen Menschenleben

Die Grippe ist auch heute noch allgegenwärtig. Illustration. . Foto: Christin Klose |, Picture Alliance, Frankfurt/Main.

 

Das Jahrhundert-Ereignis
im Jahre 1918

 

In der Rubrik «Wissen» erschien in der NZZ am Sonntag vom 7. Januar 2018 ein hoch interessanter Beitrag über die Spanische Grippe, die vor rund 100 Jahren weltweit schätzungsweise 80-100 Mio. Menschenleben forderte. Allein in der Schweiz starben im Jahre 1918 wegen dieser furchtbaren Seuche 25’000 Personen. In Liechtenstein – so sagen unbestätigte mündliche Überlieferungen – seien es an die 100 Menschen gewesen. Am häufigsten betroffen seien junge, kräftige Männer im Alter von 20-40 Jahren gewesen.

Sonderbarerweise ist von der Spanischen Grippe so viel wie nichts bekannt. Wer – so schreibt Patrick Imhasly im besagten NZZ-Beitrag- ans 20. Jahrhundert denkt, denkt in erster Linie an die zwei Weltkriege, an faschistische Diktaturen und an den Aufstieg und Fall des Ostblocks. An die «Vergessene Katastrophe», so beschreibt Imhasly die Spanische Grippe, „erinnert sich niemand mehr.“

Tragödie des 20. Jahrhunderts

Dabei sei sie die Tragödie des Jahrhunderts gewesen, heute fast genau 100 Jahre später, ist sie aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Während die Pest im Mittelalter auf Europa, Asien und Nordamerika beschränkt geblieben sei, verlief die Influenza-Pandemie wahrlich global, schreibt Patrick Imhasly. Die Spanische Grippe forderte je nach Schätzung weltweit 50 bis 100 Millionen Tote. Damit fielen ihr vielleicht sogar mehr Menschen zum Opfer als dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg zusammen.

Wie blieb die Geschichtsschreibung? 

Und doch habe die Spanische Grippe kaum Spuren in der Geschichtsschreibung hinterlassen. Wer in Schweizer Geschichtsbüchern nach Informationen über die Spanische Grippe sucht (dasselbe gilt auch für Liechtenstein), wird überraschend wenig oder gar nichts finden. Wenn überhaupt, dann nur im Zusammenhang mit dem Schweizer Militär, hält der Historiker Armin Rusterholz 2006 in seiner Studie über die Grippe-Epidemie in der Schweizer Armee fest.

Andere Historiker wie Christian Sonderegger und Andreas Tscherrig haben festgestellt, dass die Spanische Grippe «nicht nur in der  Geschichtswissenschaft kaum über ein  Mauerblümchendasein hinausgekommen ist“, sie habe sich auch nicht ins kollektive Bewusstsein der Menschen in der Schweiz eingebrannt. «Es werden keine Feiertage begangen, die die Erinnerung an die vielen Opfer hochhalten.» Und Wehrmannsdenkmäler gedenken zwar auch der Grippetoten, aber nur jener, die 1918 als Soldaten im Dienst waren.

Die Spanische Grippe hatte in der Schweiz weitreichende epidemiologische, politische und gesellschaftliche Folgen, von denen man viel zu wenig weiss, schreiben die Historiker Sonderegger und Tscherrig.

Und stellen die Fragen: Warum ist das so? Weshalb hat sich keine Erinnerungskultur an dieses Jahrhundert-Ereignis etabliert?

«Oft mussten wir in die Apotheke springen, um schnell wieder eine Sauerstoffbombe zu holen für den langsam erstickenden Erreger. Etwas so Entsetzliches habe ich nie gesehen. Steif lag er in seinem Bette, hatte den Mund unnatürlich weit aufgerissen, purpurrote Wangen und eine schweissbedeckte Stirne»: So schilderte der Kantonsschüler Eduard  Seiler im November 1918 in seinem Tagebuch, wie er in der Stadt Zürich Soldaten pflegte, die an der Spanischen Grippe erkrankt waren.

Die alljährlich wiederkehrende Grippe war den Menschen vertraut, ohne dass sie damals wussten, dass ein Virus dafür verantwortlich war. Doch 1918 sei alles anders gewesen, so im NZZ-Bericht vom 7. Januar 2018. Die Grippe habe die Schweiz und auch unser kleines Land mit nie gekannter Heftigkeit erfasst. Nachdem die Spanische Grippe vermutlich durch US-Soldaten im Frühjahr 1918 nach Europa eingeschleppt worden war, sei die Seuche Ende Juni, Anfang Juli auch in der Schweiz ausgebrochen. Die Grippe kam in zwei Wellen über die Westschweizer Kantone, erfasste das Mittelland, die Ostschweiz, Vorarlberg, usw. sowie auch unser kleines Land.