Dr. Wilfried Marxer, Forschungsleiter Politik und Direktor des Liechtenstein-Instituts, analysiert für die «lie:zeit»das Ergebnis der Landtagswahlen 2017 und wagt einen Blick in die Zukunft.
Viel war vor den Wahlen spekuliert worden, wie sie ausgehen würden. Es wurde gemutmasst, dass die eine oder andere Partei massiv gewinnen oder verlieren würde, wobei die Meinung der Beobachter auseinanderging, um welche Parteien es sich jeweils handelte. Und dann kam am Wahlsonntag das erste ausgezählte Ergebnis aus Schellenberg: Die Gewinne und Verluste bewegten sich zwischen minus 0,6 und plus 0,8 Prozent. War’s das? Keine Veränderung? Alle Spekulationen voll daneben?
Ganz so ist es bekanntlich nicht geblieben. Am Ende büsste die FBP landesweit 4,8 Prozent und ein Mandat im Oberland ein, die DU gewann 3,1 Prozent und somit ein fünftes Mandat. Nach einem flauen Wahlkampf lag die Stimmbeteiligung immer noch bei beachtlichen 77,8 Prozent, was allerdings historischer Tiefstand bedeutet.
Ironischerweise gehört die einzige Partei, die sowohl Stimmen wie auch ein Mandat verloren hat, zu den Siegern: Die FBP bleibt stärkste Partei und stellt weiterhin den Regierungschef.
An medialer Präsenz hat es im Wahlkampf wahrlich nicht gefehlt: Plakate im ganzen Land, Werbedrucksachen, Internetauftritte, Inserate und lange Beiträge in den Landeszeitungen, Leserbriefe von den Oppositionsparteien, Radio- und Fernsehdiskussionen. Aber ein eigentliches Thema der Auseinandersetzung musste eher gesucht werden. Tatsächlich war das Kräftemessen zwischen der Regierung beziehungsweise Regierungsrat Mauro Pedrazzini und der Ärzteschaft über die OKP-Verträge und den Tarmed explosiver als alle Punkte aus den Wahlprogrammen. In Balzers sorgte noch die Debatte über eine mögliche Windkraftanlage für Wirbel.
Ironischerweise gehört die einzige Partei, die sowohl Stimmen wie auch ein Mandat verloren hat, zu den Siegern: Die FBP bleibt stärkste Partei und stellt weiterhin den Regierungschef. Die VU konnte nach den herben Verlusten von 2013 kaum etwas dazugewinnen, sodass der Regierungschef-Kandidat und bisherige Regierungschef-Stellvertreter Thomas Zwiefelhofer den Rücktritt bekannt gab. Die FL und mehr noch die DU haben zugelegt, aber für beide wird es wohl auch in der kommenden Regierung keinen Platz am Regierungstisch geben. Die Unabhängigen wollten ab 20 Prozent Stimmenanteil darüber nachdenken – es sind 18,4 Prozent geworden. Die FL hegt seit mehreren Wahlen Ambitionen auf einen Regierungseinsitz, ist aber von den beiden Grossparteien bereits vor den Wahlen als Koalitionspartner ausgeschlossen worden.
Die ideologische Schnittmenge zwischen FBP und VU ist ohnehin klar grösser.
Ein Koalitionsthriller bleibt daher wohl aus. Nicht nur politisch, sondern auch rechnerisch ist eine Koalition zwischen einer Grosspartei und der FL ausgeschlossen, da es nicht für eine Mehrheit im Landtag reicht. Mit der DU würde es zwar rechnerisch reichen, der DU aber hohe Fraktionsdisziplin abverlangen, was ganz und gar nicht im Sinne der Erfinder ist. Die ideologische Schnittmenge zwischen FBP und VU ist ohnehin klar grösser. Spannend wäre es mitunter geworden, wenn zwischen der FBP und der VU eine Pattsituation an Mandaten eingetreten wäre, denn dann hätten die Grossparteien auch mit einer Koalition mit der DU drohen können.
Mit 17 Mandaten ist die sich abzeichnende grosse Koalition immer noch mit einer komfortablen Mehrheit ausgestattet. Es reicht sogar für eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag, die bei einem Landtagsbeschluss zur Abänderung der Verfassung notwendig ist. Im Vergleich zu vielen Koalitionsregierungen in anderen Ländern ist dies eine satte Mehrheit. Trotzdem sieht man auch in Liechtenstein, dass die politische Mitte unter Druck gerät. Bis 1993 waren sie die beiden einzigen Parteien im Landtag und regierten in wechselnder Zusammensetzung bis in die Gegenwart meist in einer gemeinsamen Regierungskoalition: 100 Prozent Landtagsmandate und eine gemeinsame Regierung! Dieses Bild hat sich gewandelt. Seit 1993 sitzt die FL mit ein bis drei Mandaten im Landtag, 2013 zog mit der DU erstmals eine vierte Partei in den Landtag ein. 2017 haben die bisherigen Oppositionsparteien DU und FL nochmals an Gewicht gewonnen.
Aussergewöhnlich ist nicht die heutige Situation, sondern war die Zeit vor 1993, als VU und FBP jahrzehntelang alleine im Landtag waren und zusammen regierten.
Verglichen mit der Zeit der Alleinherrschaft der beiden Grossparteien nähert sich das liechtensteinische Parteienspektrum und das Verhältnis von Regierungsparteien zu Oppositionsparteien langsam dem in Demokratien üblichen Muster an.
Aussergewöhnlich ist nicht die heutige Situation, sondern war die Zeit vor 1993, als VU und FBP jahrzehntelang alleine im Landtag waren und zusammen regierten. Je knapper die Mehrheit, desto schwieriger wird es für die Grossparteien allerdings, innerhalb der eigenen Fraktion ein breites Meinungs- und Entscheidungsspektrum zuzulassen, ein Dilemma für eine breit gefächerte Volkspartei.
Obwohl absehbar ist, dass mit der DU und der FL künftig acht Abgeordnete die Oppositionsbank drücken, ist dies nicht das Maximum an Opposition in der liechtensteinischen Parlamentsgeschichte. 1997 bis 2001 regierte die VU mit der knappen Mehrheit von 13 Mandaten alleine, in den nächsten vier Jahren die FBP. In beiden Fällen zog es die jeweils andere Grosspartei vor, von sich aus in die Opposition zu gehen. Inzwischen halten es jedoch beide mit dem deutschen SPD-Politiker Franz Müntefering, der 2004 an einem Sonderparteitag Klartext gesprochen hat: «Opposition ist Mist!»