Halleluja, uns geht es gut, so soll es bleiben. Uns geht es besser als den Schweizern, so soll es sein. Gesellschaftsminister Mauro Pedrazzini präsentierte eine (von ihm in Auftrag gegebene) Studie, in welcher das Liechtenstein-Institut festgestellt hat: Den Liechtensteinern bleibt im Vergleich beträchtlich «mehr Netto vom Brutto». Text: Pio Schurti, du-Landtagsabgeordneter.
(Beitrag erschien am 13. Februar 2016 in der lie-zeit PRINT-Ausgabe)
Das ist ein durchaus erfreuliches Studienergebnis, das glaubt man dem Liechtenstein-Institut noch so gerne, die Zahlen werden stimmen: Im Durchschnitt beläuft sich das frei verfügbare Einkommen (FVE = Einkommen nach Abzug der Steuern, Versicherungsbeiträge, Mobilitäts- und Wohnkosten) in Liechtenstein auf 59% des Bruttoeinkommens. Den Schweizern bleiben dagegen nur 44% vom Brutto.
Das heisst, dass uns in Liechtenstein Ende Monat im Schnitt rund 60% vom so genannten Markteinkommen (Arbeitseinkommen plus Vermögenseinkommen) zur freien Verfügung übrig bleiben. Ein konkretes Beispiel: Einer Ruggeller Familie (in der Studie definiert als ein Paar mit zwei Kindern und einem Haushaltseinkommen, also nur einem Elternteil, der Geld verdient) mit einem Haushaltseinkommen von CHF 100’000 bleiben 55% frei verfügbares Einkommen, während eine gleich grosse Familie in Sennwald über 45% ihres Einkommens frei verfügen kann. Noch besser sieht’s in Triesenberg aus: Dort bleiben vom Brutto gar 61.5% als (mittleres gewichtetes) frei verfügbares Einkommen.
Ist die Annahme von CHF 100’000 repräsentativ?
Die Zahlen sind ebenso erstaunlich wie erfreulich. Aber kann man sie einfach so 1:1 für bare Münze nehmen? Wie typisch oder repräsentativ ist ein Haushalt (Eltern mit zwei Kindern ) mit einem Einkommen von CHF 100’000 tatsächlich? Gemäss Steuerstatistik 2014 betrug der Medianerwerb der Haushalte CHF 94’945, d.h. die Hälfte der Haushalte verdiente weniger als CHF 94’945. Gemäss Berechnungen des Amtes für Statistik verfügten dagegen 10% der Haushalte über mindestens das Doppelte dieses Medianerwerbs.
Aus der Beantwortung einer Kleinen Anfrage wissen wir, dass 27.5% aller Steuerpflichtigen (entspricht 8087 Personen) in Liechtenstein keine Steuern zahlen, weil sie zu wenig verdienen.
Wo und wie passen hier z.B. Alleinerziehende mit zwei Kindern ins Schema? Warum wird die Tatsache ignoriert, dass heute oft beide Elternteile arbeiten müssen, um auf ein ausreichendes Haushaltseinkommen zu kommen? Und warum ziehen immer mehr Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner über den Rhein, wenn wir hier doch «mehr Netto vom Brutto» haben?
Viele müssen «unten» durch
Die erfreulichen Durchschnittswerte, die der Studie zu entnehmen sind, verdecken die Tatsache, dass auch im privilegierten Liechtenstein viele Menschen gar nicht viel «frei verfügbares Einkommen» haben bzw. unten durch müssen.
In ein paar Leserbriefen bzw. Kommentaren ist die Frage aufgetaucht, warum Regierungsrat Mauro Pedrazzini die Studie ausgerechnet jetzt hat erstellen lassen? Was will er uns damit mitteilen? «Euch geht es allen gut, besser als den Schweizern, hört auf, auf hohem Niveau zu jammern!» Pedrazzini erklärte anlässlich der Vorstellung der Studie, dass die positiven Zahlen, das hohe frei verfügbare Einkommen in Liechtenstein, vor allem auf die vergleichsweise geringe Steuerbelastung der Menschen in Liechtenstein zurückzuführen sei. Für ihn bedeute das natürlich nicht, dass man in Liechtenstein die Steuern erhöhen könne oder solle, nein, Liechtenstein solle sich den Standortvorteil «niedrige Steuern» bewahren.
Die Studie könnte aber sehr wohl als eine Rechtfertigung dafür dienen, dass die Regierung keine oder nur noch möglichst niedrige Staatsbeiträge in die AHV-Kasse fliessen lassen will, um auf Kosten unseres wichtigsten Sozialwerks den defizitären Staatshaushalt zu sanieren. Das wiederum kann nur dazu führen, dass die AHV-Beiträge für uns alle steigen werden und das «Netto vom Brutto» weniger werden wird.