Klassisches Handwerk | aktueller Kontext
Die Liechtensteiner Künstlerin Jess de Zilva lebt und arbeitet in England. Nach der vom Gymnasium Vaduz verliehenen Maturität und dem gestalterischen Vorkurs in St. Gallen, entschied sie sich für das Kunststudium am renommierten Camberwell College of Arts. Text: Herbert Oehri
Jessica de Zilva wohnt heute in London, besucht aber nach Möglichkeit Familie und Freunde in Liechtenstein. Ihr kulturelles Engagement und die Verbundenheit zu ihrem Heimatland Liechtenstein zeigt sich in den Zeichnungen, die sie für das Hundertölferbuach entworfen hat.
Das «Hundertölferbuach va Mura» ist ein Dialektbuch, das der Verein für Ahnenforschung, Pflege der Kultur und des Brauchtums Mauren im November 2015 herausgegeben hat. Die von 35 Autorinnen und Autoren verfassten Dialekttexte sind mit wunderbaren Zeichnungen von Jess aufgelockert und damit der Inhalt transparenter gemacht worden. Das Mundartbuch, einzigartig in seiner Wirkungskraft, wird als eines der besten Dialektwerke gelobt.
Die Kunst von Jess de Zilva liegt im Spannungsfeld zwischen einer visuell erfahrbaren Realität und einer komplexen aber latenten Parallelwirklichkeit. Die realistisch dargestellten Figuren bewegen sich in einem kaum greifbaren, surrealen Kontext welcher diese Figuren zu beeinflussen scheint. Einmal befremdlich subtil, das andere Mal sehr unverfroren und direkt.
Die Frage nach dem Grad dieser Imprägnierung eines Kontextes auf einen Menschen (Beziehungen, Traditionen, Erfahrungen) drängt sich hier in den Vordergrund und ist ein aktuelles Thema mit welchem sich verschiedene Disziplinen auseinandersetzen, vor allem die Psychologie mit ihren Teildisziplinen Verhaltens-, Kognitions- und Neurowissenschaft.
Welchen Anteil unseres Seins können wir bewusst selbst bestimmen? Wie beeinflussen äussere Faktoren unser Handeln? Treffen wir Entscheidungen im Alleingang? Mit diesen Fragen hat sich Jess bereits in ihrem Frühwerk immer wieder auseinandergesetzt. Neu hingegen ist die Art und Weise wie sie dieses Thema interpretiert und umsetzt: Unter Anwendung des klassischen Handwerks wie es auch Meister wie Van Dyck und Velázquez und Sargent getan haben, sind ihre Figuren Abbilder der Personen wie sie vor ihrer Leinwand stehen oder sitzen. In einer Präzision gemalt, die dem menschlichen Auge auf dieser Distanz entspricht und somit auch unserer visuellen Realität. Dieser Person gegenübergestellt sind Fragmente einer surrealen, nicht sichtbaren Parallelwelt, die uns ebenso beeinflusst wie die direkt erfahrbare.
Jess findet Inspiration für ihre Bilder in den Menschen, denen sie im Alltag begegnet. Die Bilder erzählen Geschichten delikater Beziehungen, die unsere Entfremdung widerspiegelt und die eigene Authentizität in Frage stellt. www.jessdezilva.