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Schlossabmachungen: „Liechtenstein den Liechtensteinern“

Dr. Wilhelm Beck: Der Gründer der Vaterländischen Union und der „ON“, dem heutigen „Liechtensteiner Vaterland“

Vor fast genau 95 Jahren bereiteten die «Schlossabmachungen» den Weg für die heutige Verfassung, in welcher Initiative und Referendum – wie in der Schweiz – verankert sind. Beitrag in lie:zeit, Nr.41/2015, Dezember-Ausgabe.

Gegen ein neues Krankenversicherungsgesetz (KVG), das von Regierung und Landtag beschlossen wurde,  ist gemäss Art. 66 der Verfassung das Referendum ergriffen worden.  Daher werden am kommenden 13. Dezember die stimmberechtigten Frauen und Männer des Landes das letzte  Wort über das endgültige Inkrafttreten dieses Gesetzes haben. Allein in den letzten 35 Jahren hat das Volk damit zwölf Mal von dieser Form des politischen Mitsprache- und Mitentscheidungsrechts Gebrauch gemacht.

Der entscheidende Anstoss dafür, dass Initiative und  Referendum schon seit 1921 in unserer Verfassung verankert sind, geht auf die «Schlossabmachungen» vom September 1920 zurück, die mithin vor ziemlich genau 95 Jahren getroffen wurden und in ihrer  politischen  Tragweite  heute fast vergessen sind! Dr. Wilhelm Beck (1885–1936), Gründer der Christlich sozialen Volkspartei (später Vaterländische Union) und der «Oberrheinischen Nachrichten» («ON») gilt als deren  «Wegbereiter».

Entstehung der Parteizeitungen

Bis zur Gründung der «ON» hatte das (1878) gegründete «Liechtensteiner Volksblatt» ohne mediale Konkurrenz gut gelebt. Wahltaktische und politische Auseinandersetzungen hatten kaum stattgefunden. Mit den wöchentlich erscheinenden «Oberrheinischen Nachrichten» endete  aber bereits vor 101 (!) Jahren die Zeit der parteipolitisch unabhängigen Tageszeitungen in unserem Land. Obwohl sich der Ton inzwischen stark gemässigt hat, sind «Volksblatt» und «Vaterland» noch heute nach ihrem Selbstverständnis Organe der Fortschrittlichen Bürgerpartei (FBP) bzw. der Vaterländischen Union (VU): Europaweit eine Rarität.

Am 9. Mai 1920 fand in der Aubündt in Vaduz eine Versammlung statt, an der gemäss damaligen Angaben des Volkspartei-Organs über 1’000 Mann teilnahmen. Liechtenstein zählte im Jahr der Schlossabmachungen weniger als 9’000 Einwohner. Die Versammlung wurde mit einem Umzug eröffnet, angeführt von den Musikkapellen aus Triesen und Triesenberg. Gemäss zeitgenössischen Meldungen wurden dem Umzug Tafeln mit der Aufschrift «Liechtenstein den Liechtensteinern» vorangetragen.

Internationale Anerkennung nach 70 Jahren 

In den Jahren vor und nach 1920 herrschte in unserem Lande wirtschaftliche Not. «Der Staat befand sich in einer Finanzkrise. Die Verhandlungen  mit der Schweiz über einen  wirtschaftlichen Anschluss» kamen nur langsam voran. Aussenpolitisch war Liechtenstein bedeutungslos. Der Völkerbund lehnte ein Gesuch des Landes um Aufnahme ab.

Es sollte noch 70 Jahre dauern bis Liechtenstein im September 1990 als 160. Mitglied in die Organisation der Vereinten Nationen (UNO), der Nachfolge-Organisation des Völkerbundes, aufgenommen wurde. Der heutige Landesfürst Hans-Adam II. hatte sich zuvor über Jahrzehnte für diesen wichtigen Schritt bezüglich der  weltweiten Anerkennung Liechtensteins als souveräner Staat eingesetzt.

Stimmung im Land um 1920

Kehren wir zurück in das Jahr der «Schlossabmachungen». Die «Oberrheinischen Nachrichten» fassten die damalige Situation des Landes anfangs des Jahres 1920  unter dem Titel «Was heutzutage in der Welt los ist!» mit folgenden Schlagworten zusammen:

«Die Völker sind geldlos,

Die Schulden sind zahllos,

Die Regierung ratlos

Die Steuern endlos

Die Politik taktlos,

Die Sitten zügellos,

Die Aufklärung hirnlos,

Der Schwindel grenzenlos,

Und die Aussichten trostlos.»

Die politischen Differenzen zwischen der Christlichsozialen Volkspartei von Wilhelm Beck und der Fortschrittlichen Bürgerpartei fanden schon vor und während der 1920er-Jahre ihren Niederschlag in den (Partei-) Zeitungen. Liechtenstein befand sich zu Beginn des Jahres 1920 in einer Übergangsphase.

Schwierige Übergangsphase

Allein war unser Land im 19. Jahrhundert so wenig überlebensfähig wie es heute (ohne Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum und ohne Zollvertrag mit der Schweiz) wäre. Der Zollvertrag mit Österreich beendete 1852 «Liechtensteins handelspolitische Isolation».

Umso schwerer wirkte sich für unser Land  der Untergang der österreich-ungarischen Monarchie als europäische Grossmacht im Jahre 1918 aus. Sie zwang unser Land ein Jahr später zur Kündigung des Vertrages mit Österreich. Ein Jahr vor den Schlossabmachungen 1920 und fünf Jahre vor dem Inkrafttreten des neuen Zollvertrages mit der Schweiz am 1. Januar 1924 befand sich Liechtenstein in einer schwierigen Übergangsphase.

«Privileg der Schmuggler»

1920 war die Hoffnung auf eine baldige Besserung der politischen Situation noch nicht sehr ausgeprägt. So heisst es im «Volksblatt» vom 14. Februar 1920  in einem Beitrag auf der Frontseite dazu u.a.:

«Durch die Kündigung des Zollvertrages werden wir wirtschaftlich Österreich entfremdet, keinem anderen Staat aber näher gebracht. Konnte man früher noch mit unserem Gelde im billigen Österreich einkaufen und ohne Umstände ausführen, so wurde der Export mit Vertragskündigung Privileg der Schmuggler und ihr Handwerk auf eine neue Basis gestellt: Die Waren gingen in die Schweiz und Franken kamen ins Land. Die Folge davon ist der heutige, unhaltbare Zustand, der die offizielle Frankeneinführung zur scheinbaren Notwendigkeit stempelt. Die Aussicht ist jedoch sehr trübe.»

Volksforderung nach einer neuen Verfassung

Im gleichen Jahr 1920 forderte die Volkspartei  die «Volksforderungen verfassungsmässig festzusetzen». Auch der Rückhalt des Fürstenhauses – so hiess es in einem Artikel der «ON» vom 10. Juli 1920 – wäre «am stärksten, wenn er in «einer demokratischen Verfassung verankert» werde.

Am 21. August 1920 weilte der betagte Fürst Johannes II. zu Besuch in Liechtenstein. Es ist davon auszugehen, dass er von den politischen Unruhen und vom Wunsch nach mehr Volksrechten in Liechtenstein wusste. Denn bereits am 6. September des gleichen Jahrs lud der Kabinettsrat des Fürsten, Josef Martin, Wilhelm Beck zu einer Aussprache in der Verfassungsfrage ein, die zu den ersten Verhandlungen vom 10. September 1920 im Absteigequartier oberhalb von Schloss Vaduz stattfanden. Weitere Gespräche folgten.

Inkraftsetzung am 24. Oktober 1921

Die neue Verfassung konnte nach  erfolgreichen Verhandlungen mit dem Fürsten am 24. Oktober 1921, also praktisch ein Jahr nach den ersten Schlossabmachungen, in Kraft gesetzt werden: Ein grosser Erfolg für die Gruppe um Wilhelm Beck und die Volkspartei, die in der Folge bis zum Jahre 1928 mit der politischen Hauptverantwortung im Land betraut wurde.

Die neue Verfassung stärkte die Volksrechte u.a. durch die Verankerung des Referendums und des Initiativrechtes. Das Grundgesetz war in seiner neuen Fassung mitentscheidend dafür, dass sich der schweizerisch-liechtensteinische Zollvertrag zustande kam.

Die Sparkassa-Affäre 1928

1927/28 geriet die liechtensteinische Spar- und Leihkasse (die Vorgängerin der heutigen Landesbank) durch mangelhafte bzw. nicht gedeckte Kredite und Wechselgeschäfte in Schwierigkeiten. Die Verantwortung der «Sparkassa-Affäre» wurde der Volkspartei angelastet. Sie verlor die Regierungsmehrheit an die Bürgerpartei!

Zur Verantwortung gezogen

Im Gegensatz zu heute, da unsere Politiker in Regierung und Landtag aufgrund mangelhafter  Aufsicht mit Millionenverlusten des Staates konfrontiert sind und waren, wurden die in die Sparkassa-Affäre verwickelten Personen damals zur Rechenschaft gezogen. Obwohl er selbst nachweislich nicht in die Affäre verwickelt war, musste sich auch Wilhelm Beck wegen «Verletzung der Aufsichtspflicht» als Präsident des Verwaltungsrates der Bank verantworten! Wilhelm Beck, der Hauptinitiant der Schlossabmachungen und damit der entscheidende Wegbereiter unserer heutigen Verfassung, verstarb am 20. Januar 1936 im Alter von erst 51 Jahren an den Folgen einer schweren Krankheit.

Quellen: «Die Schlossabmachungen» (VU 1996), Liecht. Politische Schriften (Band 21). Fürst und Volk (Lehrmittelverlag 1993), «Liechtensteiner Volksblatt» (Archiv).

Legende Bild: Dr. Wilhelm Beck und Dr. Emil Beck im Jahr 1920 vor dem Ostflügel des Bundeshauses in Bern. (Fotos Landesarchiv)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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